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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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sah. Ich hatte schon überlegt, ob ich sie zur Strafe bis zum bitteren Ende weitersägen lassen sollte, aber es klang unerträglich, und ich machte der Sache ein Ende. Das Sägen stoppte und das Mädchen blickte auf, mit einer Mischung aus Angst und Erleichterung.
    »Sarah«, sagte ich müde. »Die Leute hören sich klassische Musiker an und sagen: ›Wie können sie so spielen?‹, als wäre es nur eine Glücksfrage. Aber die Antwort lautet, dass sie seit zehn, zwanzig, dreißig Jahren jeden Tag stundenlang üben.«
    Sarah lächelte höflich, aber verständnislos.
    »Was ich sagen will, ist, wenn du nicht übst - und ich sehe, dass du dieses Stück überhaupt nicht geübt hast«, ich wehrte ihr halbherziges Protestgemurmel mit einer Handbewegung ab, »sind diese Stunden eine absolute Zeitverschwendung. In der halben Stunde pro Woche, die wir zusammen haben, wirst du nie irgendwelche Fortschritte machen.« Ich fand langsam Gefallen an meinem Thema. »Du solltest lieber im Physiklabor sein oder wo du jetzt auch immer sein solltest. Da lernst du vielleicht etwas Interessantes, und das ist mehr, als du hier tust. Spielst du eigentlich gern Cello?«
    »Manchmal ...« Sie zog mit dem Fuß einen Kratzer auf dem gebohnerten Boden nach. »Nein«, räumte sie ein. »Aber ich rede gern mit Ihnen. Ich hasse nur das Üben.«
    »Tja, ich finde, du solltest dir überlegen, ob du aufhörst.«
    Manchmal überrasche ich mich selbst. Normalerweise empfehle ich das keiner Schülerin, die auch nur andeutungsweise begabt ist - ich will mich nicht um meinen eigenen Job bringen aber ich hatte plötzlich Lust, Rads Evangelium des Minimalismus zu lehren. »Wenn ich zu Hause aufräume«, improvisierte ich, »sehe ich mir Sachen an und denke: ›Brauche ich das?‹ Und wenn nicht: ›Gefällt es mir?‹ Und wenn die Antwort nein ist, werfe ich es weg. Hier ist es genau dasselbe: Du brauchst offensichtlich nicht Cello zu spielen, und du hast zugegeben, dass es dir nicht gefällt. Also ...«
    »... ihre Eltern haben am nächsten Tag die Direktorin angerufen und sich beschwert, dass ich ihrer Tochter gesagt habe, sie soll ihr Fünfzehnhundert-Pfund-Cello in den Mülleimer werfen.«
    »Und hat sie es getan?«
    »Ahm, im übertragenen Sinne ja. Sie hat aufgehört. Aber die Direktorin hat mich gebeten, mich beim nächsten Mal mit meiner Berufsberatung etwas zurückzuhalten.«
    Rad lachte. »Ich dachte nicht, dass du mich deinen Schülerinnen als Beispiel vorhalten würdest.«
    »Oh, aber du hast mich vollkommen bekehrt. Du wirst nicht glauben, wie viele Paar Schuhe ich in den letzten Tagen weggeworfen habe.«
    Rad sah auf meine Füße. Wir liefen über den breiten Weg zum Zierteich in Kew. Er hatte an Deck in einem Liegestuhl gesessen und Zeitung gelesen und als ich ankam, sein verletztes Bein ausgestreckt. Er trug eine dunkle Brille, sodass ich aus der Ferne nicht sehen konnte, wohin er blickte, und befangen den langen Weg über den Treidelpfad gehen musste, während ich überlegte, ob er mich beobachtete. Als ich noch ungefähr zwanzig Meter vom Boot entfernt war, hatte er, ohne sich ansonsten zu bewegen, eine Hand mit der Fläche nach außen gehoben, und ich wusste, er hatte mich schon die ganze Zeit gesehen.
    In meinem Eifer, meine Wohnung auszuräumen, hatte ich natürlich mein Auto vergessen, das voller Getränkekartons, Bonbonpapier, Chipskrümel und kaputten Kassettenhüllen war.
    »Du brauchtest dir nicht die Mühe zu machen, für mich aufzuräumen«, sagte Rad trocken, als er in dem Müll Platz für seine Füße suchte.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Deshalb hab ich‘s auch nicht getan.«
    »Ich komme mir inzwischen vor wie ein Heuchler«, sagte Rad, als er auf der Suche nach Döbel in den Teich spähte. »Während du Sachen rausgeworfen hast, habe ich mir was gekauft. Zwei Sachen.«
    »Was?«
    »Das Hausboot. Und einen Stuhl. Ich habe beschlossen, dass nur einen zu haben ein bisschen ungesellig ist. Und jetzt, wo ich den neuen habe, ist mir aufgefallen, wie unbequem der alte ist.«
    »Wie um alles in der Welt hast du einen Stuhl dahin gekriegt?«
    »Mit Dad und einem Dachträger.«
    »Das erste Mal, als ich deinen Vater sah, hat er Möbel geschleppt«, sagte ich und hielt dann schnell den Mund, als mir klar wurde, dass Rad sich vielleicht nicht gern in Erinnerungen an den Tag ergehen würde, als seine Eltern getrennte Betten bezogen.
    »Genau genommen hat er nur die beiden Verkäufer rumkommandiert. Ich habe darauf geachtet, meine Schlinge

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