Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
zu sehen, dass jemand noch langsamer war als ich.
    Später in Frances‘ Zimmer zogen wir uns, einander den Rücken zugewandt, schüchtern aus. Mum hatte mir das Nachthemd eingepackt, das ich am wenigsten mochte eins aus grünem Nylon, das grässlich kratzte. Im Spiegel der Frisierkommode sah ich, wie Frances sich aus ihrem BH wand. Sie war das einzige Mädchen in der Klasse, das einen trug, eine Tatsache, auf die man durch ihr offensichtliches Unbehagen und ihr ständiges Herumfummeln an den Trägern aufmerksam wurde. Mit einem reißenden Geräusch und einer knisternden blauen Funkenentladung zog sie die Laken aus aufgerautem Nylon zurück. In meinem Nachthemd würde ich an ihnen festkleben wie ein Klettverschluss. Nachdem sie einige Zeit mit Zähneputzen verbracht hatte, holte Frances eine Dose Siruptoffees aus dem Nachtschränkchen, und wir saßen mit zusammengeklebten Kiefern im Bett, versuchten zu kauen, kicherten und sabberten, alles gleichzeitig.
    »Was hältst du von Rad?«, fragte Frances durch eine Zahnspange aus Toffee.
    »Ganz okay«, antwortete ich und errötete bei der Lüge. Schließlich hatte sie ihn mir schon seit Monaten angekündigt, bis ich entschlossen war, mich, wenn er nicht wirklich furchtbar wäre, hemmungslos in ihn zu verlieben.
    »Ganz okay?«, wiederholte sie indigniert. »Na ja, du hast ihn noch nicht in Bestform erlebt.«
    Frances brachte ihr Tagebuch auf den neuesten Stand, während ich höflich die Augen abwandte, und dann schaltete sie das Licht aus, aber der Raum blieb von der Straßenlaterne und den gleitenden Autoscheinwerfern draußen halb erleuchtet. Im Vergleich zur Sackgasse war der Verkehrslärm ohrenbetäubend. Die Matratze hing durch wie eine Hängematte, und wir rollten immer wieder in die Mitte und stießen mit den Ellbogen zusammen, deshalb legte ich mich so nah wie möglich an die Bettkante und klammerte mich wie ein Faultier mit Fingern und Zehen fest, um nicht immer wieder in den Graben zu fallen. Innerhalb von Minuten war Frances eingeschlafen und atmete gleichmäßig, während ich die Autos zählte, die draußen vorbeibrausten, bis ich um zwölf hörte, dass Mrs. Radley heimkam und sich, leise singend, in ihr Einzelbett zurückzog. Nicht viel später döste ich ein und träumte, ich würde am Rand einer Felswand hängen. Viel später weckten mich die Geräusche, die Mr. Radley bei seiner Rückkehr von der Arbeit machte. Ein Schlüssel knirschte im Schloss, die Tür schloss sich mit einem Klick, und dann hörte ich ein Krachen, gefolgt von Fluchen, als er im Flur über etwas stolperte.
    Am Morgen, als Frances im Bad war, zog ich mich schnell an und begann, in Erinnerung an Mutters Anweisungen, das Bett abzuziehen. Ich hatte alles ordentlich auf der nackten Matratze gestapelt und zog gerade den letzten Kissenbezug ab, als Frances wieder hereinkam.
    »Was tust du da?«, fragte sie wie vom Donner gerührt. »Mum«, appellierte sie an Mrs. Radley, die gerade in Bademantel und Turban über den Treppenabsatz sauste. »Sie hat gerade mein ganzes Bett abgezogen.«
    Mrs. Radley sah mein rotes Gesicht und die nackte Matratze und sagte: »Tja, weil das höflich ist.«
    »Davon habe ich noch nie was gehört.«
    »Trotzdem ...«
    »Jetzt muss ich alles wieder draufziehen«, sagte Frances verärgert.
    »Nein. Du bringst die Bezüge in den Waschsalon. Ich habe ein paar Decken, die du mit in die große Maschine stecken kannst, wenn du schon mal da bist.«
    »Gut gemacht, Abigail«, sagte Frances mit mürrischem Gesicht und sah genauso aus wie ihr Bruder.
    »Woher sollte ich wissen, dass ihr euch ein Bett teilt?«, sagte Mutter, als ich ihr bei meiner Rückkehr empört von dem Zwischenfall berichtete. Sie war in der Küche und machte Teig für Yorkshire Pudding, den sie heftig rührte, um die Klümpchen aufzulösen. Vater war weg. »Wer hat je davon gehört, dass ein Mädchen in dem Alter ein Doppelbett hat?« Und sie rümpfte die Nase, als könnte sie, selbst aus dieser Entfernung, die schmutzige Wäsche riechen.

12
    Das war der Beginn meiner Integration in die Radley-Familie. Es wurde als selbstverständlich erachtet, dass ich meine Wochenenden dort verbrachte: Lexi hatte früher dasselbe mit ihrer Freundin Ruthie getan, wie sie uns gern erzählte.
    »Was ist eigentlich aus Ruthie geworden?«, fragte Frances ihre Mutter, nachdem ihre beispielhafte Freundschaft an einem einzigen Abend ein halbes Dutzend Mal beschworen worden war.
    »Ich weiß nicht«, kam die unromantische Antwort.

Weitere Kostenlose Bücher