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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Wir sind uns nach der Schule fremd geworden. Wie‘s halt so ist.«
    Frances und ich wechselten einen Blick. Damals musste alles anders gewesen sein: Es bestand keine Möglichkeit, dass wir uns »fremd werden« könnten.
    Die Einzigen, die sich nicht für das neue Arrangement begeistern konnten, waren meine Eltern. Auf ihre zivilisierte Art kamen sie nicht besonders gut miteinander aus und brauchten mich als Ablenkung. Da sie nie stritten oder Meinungsverschiedenheiten hatten, war schwer festzustellen, worin genau der Grund für ihre Ernüchterung lag, ich war mir nicht sicher, ob die Kühle zwischen ihnen schon immer existiert hatte und mir erst jetzt, wo ich älter war, auffiel, oder ob sie neueren Ursprungs war. Ein Zankapfel zwischen ihnen war die Zeit, die mein Vater in sein Projekt steckte, ein sich ständig erweiterndes Werk, das ihm reichlich Möglichkeiten zum Verschwinden bot, weil er irgendwo recherchieren musste oder sich lange in seinem Arbeitszimmer aufhielt. Obwohl meine Mutter zweifellos froh war, ihn nicht »vor den Füßen zu haben«, ein Ausdruck, der mich an einen Falten werfenden Teppich erinnerte, machte die Vagheit all seiner Bemühungen sie wütend: Es war nicht so, wie wenn man Quittengelee kochte, den man essen oder auf dem Kirchenbasar verkaufen konnte, oder wie Bügeln, das einfach erledigt werden musste. Es wurmte sie, dass etwas, was so offensichtlich ein Hobby war, den Status von Arbeit angenommen hatte.
    In dieser Zeit erreichte die Sauberkeitsmanie meiner Mutter ihren Höhepunkt. Wenigstens schien es so. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich in der Zeit gerade dem Radley-Haushalt ausgesetzt war, wo ein weniger strenges Regiment herrschte. Besucher, die in unser Haus kamen, schmeichelten meiner Mutter mit der Bemerkung, sie hätten ihr Abendessen vom Küchenboden essen können: Bei den Radleys sah es normalerweise so aus, als hätte das gerade jemand getan.
    Mutters neueste Errungenschaft im Kampf gegen den Schmutz war ein Teppichreiniger, den sie auf einem Kirchenbasar erstanden hatte. Es war ein blassgelber Plastikapparat, wie ein kleiner Handstaubsauger, den man mit einem speziellen Shampoo füllen und vor und zurück über den Boden ziehen musste, wobei er Schaumspuren wie Speichel hinterließ. Sie war ganz vernarrt in diese Maschine, und eine Weile gab es immer wenigstens einen Teppich im Haus, der nach chemischer Seife roch und sich feucht und moosig anfühlte. Die Hausarbeit wurde eine Art Zuflucht für sie: Während eine theatralischere Person oder eine, die weniger migräneanfällig gewesen wäre, vielleicht ihre Frustrationen in ein Klavier gehämmert hätte, griff Mutter zu Mopp und Staubtuch. Eines Morgens schaute ich aus meinem Schlafzimmerfenster und sah, wie sie versuchte, bei starkem Wind den Weg vorm Haus zu kehren. Da war sie, mit zusammengebissenen Zähnen, und schwang ihren Besen, während Staub, Sand und heruntergefallene Blüten um sie herumwirbelten.
    Ich erinnere mich auch an eine andere Gelegenheit, die bei meinen Eltern zu ihrer Version eines Streits führte. Es war ein sonniger Sonntag im Mai, und ich war früh von Frances zurückgekommen, um unsere Hausaufgaben zu erledigen. Es war sicherer, beide anzufertigen, als Frances abschreiben zu lassen, weil sie entweder meine bis aufs letzte Detail abpinselte und wir beide Ärger bekamen, oder bei dem Versuch, ihrer Version eine persönliche Note zu geben, absichtlich so lächerliche Fehler einbaute, dass es meine Bemühungen sinnlos machte. Ich hatte gerade auf die Schnelle den Lebenszyklus der Lebermoose erledigt und war nach unten gekommen, um eine Teepause einzulegen. Im Wohnzimmer war meine Mutter dabei, die frisch gewaschenen Tüllgardinen zu bügeln, und Vater stand an den nackten Fenstern und sah die Straße hinauf.
    »Das Zimmer sieht ohne Tüllgardinen ziemlich hübsch aus«, bemerkte er geistesabwesend. »Man kann nach draußen sehen.«
    »Und die Leute können reinsehen«, sagte Mutter und bügelte ein bisschen heftiger.
    »An dieser Straße kommen nicht viele Leute entlang«, bemerkte Vater. »Außerdem ist es ja nicht so, als würde jemand gegenüber wohnen.« Als das Haus am Ende der Sackgasse blickten wir auf die Grünfläche und die ganze Straße entlang.
    »Es wäre so, als würden wir in einem Goldfischglas wohnen«, sagte Mutter, legte den ersten Vorhang der Länge nach auf die Couch und nahm den nächsten in Angriff. »Jeder, der vorbeigeht, könnte jeden Flecken an der Wand

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