Seejungfrauen kuesst man nicht
in Gesellschaft junger Leute zu sein, und trotzdem waren sie seiner Meinung nach verantwortlich für alles Übel in der Welt. »Die Jugend ist an die jungen Leute vergeudet«, sagte er gern, besonders wenn er uns beim Faulenzen vor dem Fernseher erwischte, oder wenn wir uns über Langeweile beklagten. Von ihm stammte auch mein Spitzname Blush, die Errötende der hängen blieb, wie es nur die gemeinsten oder passendsten tun.
Lexi konnte den ganzen Tag im Wohnzimmer residieren, wo sie eine Reihe von Besuchern bewirtete. Clarissa oder andere Golffreunde konnten auftauchen, gefolgt von Lawrence, einem gut aussehenden Mann, der als Lexis Freund vorgestellt wurde. Jeder, der nicht mit ihr blutsverwandt war, wurde von Lexi als »Freund« oder »Freundin« bezeichnet, deshalb war das kein Anlass, misstrauisch zu sein. Außerdem schien Lawrence mit Mr. Radley auf bestem Fuß zu stehen, eine weitere Beruhigung. An Nicht-Besuchstagen wurde ein kurzer, aber gewaltiger Angriff auf die Hausarbeit gestartet. Dann fegte Lexi wie ein Tornado durchs Haus, hob Sachen auf, die jemand fallen gelassen hatte, und feuerte sie ins Schlafzimmer des Besitzers, während Frances ihr mit dem Staubsauger folgte, der auf dem teppichlosen Boden schrecklichen Lärm machte. Holzmöbel wurden kurz mit einem wachsweichen Staubtuch abgewischt, und alles über Augenhöhe wurde liegen gelassen, bis es verfaulte. Abends zog Lexi sich schick an, rollte ihre Haare auf heizbare Lockenwickler und schwebte auf einer Wolke Moschusparfüm zum Dinner. Gelegentlich spielte sie selbst Gastgeberin, und Frances und ich wurden dafür bezahlt, die Gäste zu bedienen, Essen und Getränke zu servieren und abzuwaschen. Wegen seiner unsozialen Arbeitszeiten war Mr. Radley selten mit von der Partie.
Nachdem ich ein paar Mal bei ihnen gewesen war, wagte ich es, mich nach der mysteriösen dritten Tür auf dem obersten Treppenabsatz zu erkundigen.
»Das ist Dads Studio. Er geht ab und zu hoch, um zu malen und so.«
»Was denn? Ölgemälde?«
»Ja, du weißt schon, Porträts und so.«
»Du meinst, er ist Künstler«, sagte ich beeindruckt. Ich hatte schon geahnt, dass er mehr war als nur ein großer Hotelboy. »Wieso hast du mir das nie erzählt?«
»Na ja, er ist kein richtiger Künstler «, sagte sie. »Es ist nur ein Hobby. Ein paar von seinen Sachen sind ein bisschen verrückt. Willst du mal sehen?«
Als Frances die Tür mit der Schulter berührte, öffnete sie sich zitternd und setzte einen trockenen Geruch nach Holz und Terpentin frei. Der Boden war teppichlos und voll mit getrockneten Farbklecksen. An einer Wand stand eine Holzbank voller Gläser mit Pinseln und Palettenmessern, Zeichenkohle, ausgedrückten Farbtuben und zerknitterten Stofflappen. Im Licht des Fensters standen eine Staffelei und eine leere Leinwand, und in der Mitte des Zimmers befand sich ein niedriger Sessel, der mit einem schmuddeligen weißen Laken bedeckt war. An einer Wand lehnten einige Gemälde. Frances fing an, sie durchzusehen. Ich spähte ihr über die Schulter. Es waren alles ziemlich verkleckste Akte: Einer davon sollte offensichtlich Lexi darstellen, aber die anderen waren die unterschiedlichsten Leute, Männer und Frauen, ein paar alte Menschen, in sonderbaren Farben.
»Ein bisschen fleckig, was?«, sagte Frances kritisch. »Er muss eine Menge Farbe verbrauchen.«
»Erfindet er die einfach oder was?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Truppe Nackedeis durch die Dachkammer marschierte, nur um sich in Orange- und Grüntönen malen zu lassen.
»Nein, du Trottel, er geht zu Aktmalkursen. All diese Leute wie Dad sitzen rum und ziehen sich abwechselnd aus.«
»Nein!«
»Ich denke, so läuft es. Wo sollte man sonst die Leute herkriegen?«
»Wie peinlich! Wieso angezogene Leute malen?«, fragte ich. »Er benutzt ja sowieso keine fleischfarbenen Töne.«
»Künstler malen Leute immer nackt. Vielleicht ist es schwieriger oder leichter oder so«, sagte Frances. »Also«, fügte sie warnend hinzu, »wenn er dir je anbietet, dich zu malen, weißt du, was du sagen musst.«
»Ist dein Dad denn auf die Kunstakademie gegangen?«, fragte ich, als wir uns wieder nach unten begaben.
»Nein«, sagte Mr. Radley, der aus seinem Schlafzimmer kam, was mich zusammenzucken ließ. »Ich war nicht klug genug für die Akademie«, sagte er mit gespielt bescheidener Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass er sich ganz im Gegenteil für viel zu klug hielt.
13
Von Samstag zu Samstag zu leben,
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