Seejungfrauen kuesst man nicht
Köpfen meiner Eltern fest verankert war. Sie zurückzulassen kam nicht in Frage, aber sie mitzunehmen war kein Urlaub. Sie brauchten Urlaub von ihr. Lexi hatte die Vorsichtsmaßnahme ergriffen, zuerst eine Eingabe bei meinen Eltern zu machen, anstatt es mir zu überlassen. Eines Morgens kam eine Postkarte mit Burne-Jones‘s Ophelia - nicht gerade das beruhigendste Bild - mit der Nachricht:
Lieber Mr. Onions, liebe Mrs. Onions,
Frances und ich würden uns sehr freuen, wenn Abigail dieses Jahr mit uns nach Frankreich käme. Ich hoffe, Sie können Ihre reizende Tochter im August ein paar Wochen entbehren. Wir werden gut auf sie aufpassen.
Hochachtungsvoll Alexandra Radley
Mutter schnüffelte. »Sie schreibt mit rotem Füller«, sagte sie, als wäre das ein weiteres Zeichen für Lexis moralische Verworfenheit. »Fährt ihr Mann denn nie mit ihnen weg?«, fuhr sie fort. »Es scheint mir ein sehr seltsames Arrangement zu sein.« In diesem Jahr fuhren Vater und Sohn wie in all den anderen Jahren gemeinsam zu den »Schützengräben«. Die rituelle Bedeutung dessen wurde noch durch die Annahme verstärkt, dass es das letzte Mal sein würde. Im September ging Rad zur Universität; in Zukunft würde er in den Ferien zweifellos arbeiten, um seine Schulden abzuzahlen. Obwohl man sich bei Rad schwer vorstellen konnte, dass er es schaffen würde, sein Stipendium aufzubrauchen. Er trank nicht viel und rauchte nicht, kaufte sich nur mit dem größten Widerwillen neue Kleidung und trug sie, bis sie auseinander fiel. Auf Grund seiner A-Level-Ergebnisse hatte er in Durham einen Studienplatz für Philosophie bekommen. Die Vorstellung, die Schauspielerei als Beruf zu ergreifen, hatte ihm schließlich doch nicht zugesagt. Er könne jederzeit nebenbei schauspielern, argumentierte er, aber wann würde er je wieder die Chance haben, drei Jahre nur mit Denken zu verbringen?
»Das ist sehr freundlich von ihnen«, sagte Vater, als er die Postkarte in die Hand nahm. »Deine erste Auslandsreise, Abigail.«
»Ich frage mich, was das kosten wird?«, sagte Mutter. »Du wirst deinen Anteil bezahlen müssen, Abigail, an Benzin und so weiter.« Doch als das Thema schließlich am Telefon von Vater angesprochen wurde, mit Mutter als Souffleuse, verwarf Lexi die Idee sofort.
»Oh nein - sie wird keine Ausgaben haben. Wir werden uns sowieso alle ein Zimmer teilen. Sie wird nur ein bisschen Taschengeld brauchen für Eis und so weiter.«
Letzten Endes gab Vater mir eintausend Franc mit - ein Vermögen, das ich in einem Geldgürtel unter meiner Kleidung trug wie ein Pistolenhalfter, und das ich besorgt zwanzigmal am Tag nachzählte.
Meine Eltern brachten mich gemeinsam zu den Radleys, um sich von mir zu verabschieden. Typischerweise war gerade der alljährliche Streit darüber im Gange, welche Partei welches Auto brauchte. Ehemann und Ehefrau standen auf je einer Seite des umstrittenen Vehikels, Lexi noch im Morgenmantel und mit Turban. Mr. Radley bestand darauf, dass er den Kombi brauchte. Er und Rad fuhren erst in einer Woche los, und er hatte offensichtlich vor, in dieser Zeit seine Gemälde in verschiedenen Galerien und Geschäften anzubieten. »Die kriege ich doch nicht in den Triumph rein, oder?«
»Aber wir sind zu dritt«, sagte Lexi gerade mit ihrer Lehrerinnenstimme. »Du kannst nicht erwarten, dass eins von den Mädchen sich den ganzen Weg bis Menton hinten reinquetscht.«
»Wieso nicht? Blush ist dürr wie ein Rechen - sie würde da ganz leicht reinpassen.«
»Abigail ist nicht dürr; sie ist wunderbar schlank«, sagte Lexi, die sich gegen jede Verunglimpfung der weiblichen Figur wehrte.
»Dürr, schlank, wo ist da der Unterschied?« Mr. Radley schlug sich frustriert gegen die Stirn. »Der Punkt ist, sie passt leichter hinten in einen Spitfire als ein Gemälde von einsachtzig mal einszwanzig.«
»Sie ist sogar perfekt proportioniert. Hallo Abigails Eltern«, sagte Lexi, ohne eine Pause einzulegen. »Wir streiten uns gerade.« Und sie nahm meinen kleinen Koffer gegen die Raublust ausländischer Zimmermädchen gut verschlossen - und stellte ihn trotzig auf den Rücksitz des Renault. Prompt nahm Mr. Radley ihn wieder heraus und warf ihn in die Einfahrt.
»Nun ...«, sagte Mutter unbehaglich. Das war ihr erstes Zusammentreffen mit den Radleys. Durch die Hintertür konnte ich sehen, wie Frances Wäsche von der Leine nahm, während Growth hochsprang und nach den Kleidern schnappte, die sie hinter sich herschleifte. Als er mich sah, kam
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