Seejungfrauen kuesst man nicht
Kooperation gerechnet, und da sie mehrere Argumente zu ihrer Verteidigung vorbereitet hatte, musste sie die auch loswerden. »Ich weiß, am Anfang wird es schwierig sein, bis wir uns alle aneinander gewöhnt haben, aber wir können uns kein anständiges Pflegeheim leisten, und eins von diesen staatlichen kommt nicht in Frage - du weißt ja, wie unverschämt sie zu allen ist, die nicht die englische Hochsprache beherrschen.«
»Oh, ich glaube nicht, dass sie in einem Heim alt werden würde«, stimmte Vater zu.
»Ja, man hört immer wieder von Leuten, die nach einer Woche in einer solchen Einrichtung durchdrehen. Das möchte ich nicht auf dem Gewissen haben.«
»Ich habe gemeint, niemand würde sie dort lange dulden - sie würde des Hauses verwiesen, relegiert, oder was auch immer sie tun.«
»Ach so. Tja, mir fällt keine Alternative ein - ich rechne jeden Tag mit einem Anruf der Polizei, dass sie in der Badewanne ertrunken ist oder das Haus abgebrannt hat. Sie ist eine Gefahr für andere, nicht nur für sich selbst.«
»Und sie wird sich an Rechnungen und Essen und so weiter beteiligen. Du musst zugeben, dass das zusätzliche Geld nützlich wäre.« Da es dir nicht gelungen ist, eine Gehaltserhöhung zu bekommen, lautete der unausgesprochene Vorwurf. Ich konnte Mutters Freude, eine neue Einkommensquelle angezapft zu haben, nicht teilen. Granny war daran gewöhnt, ihre Rente zu sparen; es war unwahrscheinlich, dass das, was sie sich unter einer angemessenen Beteiligung vorstellte, allein die Heizkosten für ihr Zimmer decken würde. Es würde uns finanziell schlechter gehen, nicht besser.
»Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll«, endete Mutter, als wäre sie auf nichts als Widerstand gestoßen.
»Tun?«, sagte Vater. »Unsere Pflicht natürlich.«
Mutter hatte nicht Recht damit, dass es am Anfang schwierig sein würde. Am Anfang war es so, als hätten wir einen Gast: Man war höflich zueinander und machte Zugeständnisse. Wenn um drei Uhr morgens der World Service deutlich vernehmbar aus Grannys Zimmer drang, zogen wir uns die Decken über die Ohren. Wenn sie während einer Fernsehsendung redete, die wir sehen wollten, antworteten wir höflich oder stellten den Apparat ab. Wenn sie Vater, wenn er sonntagnachmittags in seinem Arbeitszimmer schlief, mit den Worten: »Kann jemand meine Taschenlampe/mein Radio/mein Hörgerät reparieren?« weckte, sprang er auf und tat, wie ihm geheißen. Wenn sie darauf bestand, Teller aus dem Esszimmer in die Küche zu tragen und einen fallen ließ, biss Mutter die Zähne zusammen und sagte: »Macht nichts.«
Erst nach ein paar Wochen registrierten wir langsam, dass es nun stets so sein würde: Der Sessel, den Granny jetzt immer besetzte, wurde ohne jede Diskussion für sie frei gelassen. Wir würden uns daran gewöhnen, abends leere Milchflaschen auf dem Kopf stehend in einer Tasse vorzufinden, damit die letzten Tropfen nicht vergeudet würden, ebenso wie an verklumpte Kugeln aus vielfarbiger Seife, die sie aus den Bröckchen formte, die von einem Stück Seife übrig blieben. Ich wusste, dass Sparsamkeit eines ihrer Laster war: Als ich ihr in Bognor half, ihre Siebensachen zusammenzupacken, war ich auf einen Schuhkarton aus Pappe mit der Aufschrift KULIS, DIE NICHT MEHR SCHREIBEN gestoßen; sie sammelte und bügelte noch immer altes Geschenkpapier, obwohl sie seit Jahren kein Geschenk mehr gekauft geschweige denn verpackt hatte; und sie hob all ihre alten Kalender auf und schrieb nur mit Bleistift hinein, weil sie herausgefunden hatte, dass alle vierzehn Jahre Tage und Daten wieder zusammenfielen. Als ich noch kleiner war, schickte sie mich immer hinauf in die höheren Zweige ihres Apfelbaums, um das Obst zu pflücken, an das man nicht herankam. Ein Morgen lang harte Arbeit - zerkratzte Knie, um ein Haar runtergestürzt und Begegnungen mit gigantischen Bienen - wurde mit einer Tüte madiger Falläpfel belohnt. Die guten Äpfel wurden im Vorgarten auf Tabletts ausgelegt und an Urlauber verkauft.
21
Im Sommer 1982 erfüllte sich einer der größten Wünsche meiner Kindheit: Lexi und Frances luden mich ein, mit ihnen in den alljährlichen Urlaub zu fahren. Das war etwas, wonach ich mich insgeheim schon gesehnt hatte, seit jener erste Brief aus Paris angekommen war, mit barbusigen Tänzerinnen, Bettlern in der Metro und roten Rosen.
Meine Mutter konnte nichts dagegen einwenden: Wir würden überhaupt keinen Familienurlaub machen, da Granny als mögliche Brandstifterin in den
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