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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Denkmal zu zeigen, und wir waren gezwungen, zu nicken und in Begeisterung auszubrechen. »Ich tue das nur, damit ihr etwas Interessantes in eure Tagebücher schreiben könnt«, sagte sie.
    Frances, vom üppigen Lunch und unserer vorherigen Naschorgie gesättigt und vom gefleckten Sonnenlicht, das durch die Fenster blitzte, halb hypnotisiert, war bald eingedöst; aus Angst, von Lexi in ein Gespräch verwickelt zu werden, das sich zu einer Beichte entwickeln könnte, schloss auch ich, im vollen Bewusstsein, meine erste Auslandserfahrung zu verpassen, die Augen und war ziemlich schnell eingeschlafen.
    Als wir aufwachten, stellten wir fest, dass die Felder und Pappeln und staubigen, linearen Straßen den Pariser Vororten Platz gemacht hatten. Die Luft war dunstig von Benzindämpfen, und längs der Straßen befanden sich graue Fabriken, Abbruchhöfe voll schrottreifer Autos und grauenvolle, pastellfarbene Apartmentblocks mit Bullaugenfenstern, die sich wie gigantische Käsereiben gegen den Himmel abhoben. Rußgestreifte Reklamewände flitzten vorbei. Die meisten Graffiti waren auf Englisch, offensichtlich die Sprache des internationalen Rowdytums.
    »Bäh«, sagte Frances und rieb sich die Augen. »Was für ein Dreckloch.«
    In der Ferne waren bereits das glänzende Eierschalenweiß von Sacré Cœur und die verschwommene Silhouette des Eiffelturms zu sehen, die man von tausenden Büchern und Postkarten kannte. Unser Hotel lag in Montmartre, nicht ganz in Sichtweite von Sacré Cœur, an einem Bürgersteig, der voll parkender Autos und Taubendreck war. Auf dem Bürgersteig gegenüber stand eine Frau in Lederjacke und einem Minirock mit Leopardenmuster in der Tür eines Sexkinos, kratzte sich an den Moskitostichen auf ihrem Oberschenkel und forderte müde Passanten auf, einzutreten.
    PERVERSIONS COCHONNERIES versprach ein verblichenes Poster im Fenster.
    »Schweinische Perversionen!«, sagte Frances erfreut. Lexi verzog das Gesicht.
    Die Tür des Hotels wurde bewacht, eigentlich blockiert, von einem schlafenden Schäferhund, der sich mühsam aufrappelte und in eine entfernte Ecke der Hotelhalle humpelte, nachdem wir vorsichtig über ihn gestiegen waren. Die Besitzerin, Madame Orselly, eine kleine, pummelige Frau mit rot gefärbten Haaren, begrüßte Lexi und Frances verzückt und küsste sie zweimal auf jede Wange. »Und das ist Abigail, unsere Freundin.« Lexi stellte mich vor, und es wurden noch mehr »Bonjours« ausgetauscht, bevor Madame Orselly einen pickligen Jugendlichen aus dem Hinterzimmer rief, der unsere Taschen nach oben bringen sollte. Selbst am frühen Abend eines hellen, sonnigen Tages lagen die Treppen und Korridore im Dunkeln, und unser Gepäckträger und Führer schlug regelmäßig auf Schalter, die von einer orangen Glühbirne angezeigt wurden, was uns ein paar Sekunden lang trübes Licht schenkte, bevor es sich mit einem Klick wieder ausschaltete. Mir fiel auf, dass die Wände zitterten, als wir vorbeimarschierten, und als ich die Hand ausstreckte, um die Tapete zu berühren, bemerkte ich, dass sie nicht massiv waren, sondern aus geblümtem Stoff, der über einen Rahmen gespannt war, dünn wie ein Szenenaufbau im Theater.
    Unser Zimmer hatte ein Doppel- und ein Einzelbett, bedeckt mit Tagesdecken aus blauem, verschlissenem Frottierplüsch, eine von der Sonne gebleichte Rosentapete und einen reich verzierten, dunklen Holzschrank, der so groß war, dass man fast ein Auto darin parken konnte. Eine Trennwand aus einer Hartfaserplatte, mit demselben Rosenpapier tapeziert und nicht ganz bis zur Decke reichend, trennte das Bad vom Rest des Zimmers. Es bestand aus einem angeschlagenen Waschbecken, einer breiten, quadratischen Badewanne mit einem Vorsprung, auf dem man sitzen konnte, und einem Bidet auf Rädern. Nachdem sie den Gepäckträger ohne Trinkgeld entlassen hatte, zog sich Lexi bis auf den Schlüpfer aus und streckte sich mit einem Waschlappen auf den Augen auf dem Einzelbett aus. »Ich ruhe mich vor dem Dinner etwa eine Stunde aus«, sagte sie blind. »Ihr könnt ein bisschen auf Entdeckungsreise gehen, wenn ihr möchtet.«
    Unsere Erkundungen führten uns nicht weiter als bis hinunter in die Bar, wo wir uns hinsetzten, Limonade tranken, viel Aufhebens um den Hund machten, der Boubous hieß, und kritische Bemerkungen über die an- und abreisenden Gäste fallen ließen. Madame Orselly brachte uns je ein Glas Pastis und eine Karaffe mit Wasser, stellte es mit einem Zwinkern und einer Salve Französisch,

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