Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
schnarchte Frances leise im Bett neben mir.
    Ich dachte schon, ich hätte sie falsch eingeschätzt, aber in dem Moment, in dem sie ihren Kopf hob, brach ich in Lachen aus: Über einem Ohr stand ihr Haar in einem großen Kamm ab, was sie aussehen ließ wie einen nassen und schmutzigen Papagei. Sie war offensichtlich mit nassen Haaren ins Bett gekrochen, das getrocknet war, während sie darauf lag.
    »Wo seid ihr denn gewesen?«, fragte ich.
    Sie war ein bisschen überrascht, erwischt worden zu sein, und überlegte sich offensichtlich, ob sie einfach leugnen sollte, bevor der Drang zu prahlen die Oberhand gewann und ihr Gesicht einen selbstgefälligen Ausdruck bekam. »Italien«, flüsterte sie.
    »Was?«
    »Es sind nur ein paar Meilen bis zur Grenze - wir sind auf dem Moped nach Ventimiglia gefahren.«
    »Um Himmels willen, Frances«, schnauzte ich sie an. »Was wäre, wenn etwas passiert wäre? Er hätte dich einfach dort lassen können - ich meine, es hätte alles Mögliche passieren können.«
    Das wies sie zurück. »Nein, er ist schon okay. Wir sind nur schwimmen gegangen.« Sie sah mein skeptisches Gesicht. »Ehrlich. Es ist nichts passiert. Er hat nichts versucht.« Es folgte eine Pause. »Na ja, er hat es versucht«, gab sie zu. »Aber er ist nicht weit gekommen.«
    »Ich wusste, dass du was im Schilde führst«, sagte ich leicht bitter.
    »Du hättest ja mitkommen können«, sagte sie. »Aber du schienst nicht so begeistert zu sein, als ich es gestern erwähnte.«
    Es stimmte, dass ich keine Begeisterung für ein Mitternachtsbad gezeigt hatte, aber Italien: Das war etwas ganz anderes. Ich war plötzlich so eifersüchtig, so frustriert, dass ich spürte, wie meine Augen zu schmerzen begannen; ich musste den Kopf senken und so tun, als würde ich nach meiner Toilettentasche wühlen, damit Frances nicht sehen konnte, dass ich blinzelnd die Tränen zurückhielt. In der Dusche ließ ich das Wasser über mich prasseln. Wie konnte ich mich im fortgeschrittenen Alter von fünfzehn über etwas derart Triviales so sehr aufregen? Es war ja nicht mal so, dass ich Georges mochte. Es war irrational. Doch unsere Gefühle wissen oft Dinge, die unser Verstand nicht erkennt: Ich weinte, weil ich Glück nur durch Frances erfuhr, aber dasselbe nicht für sie zutraf. Früher oder später, wenn die Zeit kam, würde sie sehr gut ohne mich auskommen.

24
    Wir hatten mit Rad und Mr. Radley verabredet, uns in ihrem Stammhotel in Arras zu treffen. Ich blickte auf den Grande Place, auf dem am Abend unserer Ankunft ein Wanderjahrmarkt stattfand. Ein halbes Dutzend Autoscooter parkten in einer winzigen Arena unter blitzenden Lichtern, und die größten Attraktionen waren Buden, von denen die Farbe abblätterte und die Doughnuts und frites verkauften, die im selben Fett gebraten wurden, sowie ein Schießstand, der als Hauptpreise ein paar schmuddelige Plüschtiere anbot.
    »So ein Mist«, sagte Lexi, als Diskomusik aus den Lautsprechern hämmerte, die mit einer Plane bedeckt waren. »Heute Nacht werden wir kein Auge zutun.«
    Ich hatte mich schon den ganzen Urlaub über darauf gefreut, Rad zu sehen, eine Vorfreude, die ich für mich behalten musste. Obwohl Frances so offen war, wie man nur sein konnte, und mich bis ins kleinste Detail über ihre Schwärmereien informierte, hatte ich mein Geheimnis immer streng gehütet. Trotz ihrer Annahme, dass Rad einfach von allen bewundert werden musste, würde sie mein ernsteres Interesse an ihm als unerträglich anmaßend empfinden, da war ich mir sicher.
    Aus meiner Sicht hatte dieses Treffen noch eine zusätzliche, schmerzliche Dimension: Es wäre das letzte Mal, dass ich Rad sehen würde, bevor er zur Universität ging. Er würde zehn Wochen lang weg sein, nur in den Ferien und ab und zu am Wochenende zurückkommen, und in der Zwischenzeit würden dort Mädchen sein, Mädchen, die »es« zweifellos schon getan hatten, und die im selben Studentenwohnheim wohnen würden, auf dem selben Treppenabsatz, und zu jeder Tages- und Nachtzeit vorbeischauen würden, um über Nietzsche zu diskutieren. Bei dieser Vorstellung wurde mir immer leicht schwindlig, und ich litt an Atemnot, doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er dort nicht für immer wäre und dass diese imaginären Rivalinnen, egal wie schön oder intelligent sie auch waren, nicht so geduldig wären wie ich. Ich musste nur darauf warten, dass er Notiz von mir nahm, und wenn er es tat, würde ich bereit sein, und alles hätte sich

Weitere Kostenlose Bücher