Seejungfrauen kuesst man nicht
gelohnt.
Der Gegenstand dieser sorgfältig geplanten Passivität saß gerade an der Bar und studierte eine topografische Karte der Somme, als wir hereinkamen. Als er uns sah, glitt er sofort von seinem Barhocker und kam, um uns mit unseren Koffern zu helfen. Er küsste Lexi und Frances, zuckte dann gewissermaßen in meine Richtung, überlegte es sich aber offensichtlich anders und nickte mir nur lächelnd zu. Vielleicht war es auch besser so - das letzte Mal, als wir Hautkontakt hatten, hatte er einen Brandfleck auf meiner Stirn hinterlassen.
»Wo ist dein Dad?«, fragte Lexi und blickte sich um.
»Zieht sich um. Er hat sich beim Abendessen einen ganzen Teller œufs à la neige auf den Schoß gekippt.« Er zog noch ein paar Hocker an die Bar heran.
»Wie war es denn?«, fragte Lexi mitfühlend. »Ich wette, du hast alles heldenhaft ertragen.«
»Es gab keine Katastrophen«, sagte Rad. »Aber er hat mich verrückt gemacht. Nächstes Jahr gehe ich bestimmt auf Inter-Rail-Tour. Ich weiß ja, dass er ein Gewohnheitstier ist, aber ich schwöre, es wird mit dem Alter schlimmer - er will immer an dieselben Orte fahren. Ich habe versucht, ihm klar zu machen, dass wir nicht weit weg von Agincourt waren und dass das Schlachtfeld von Waterloo nur eine Stunde Autofahrt entfernt war, aber er lehnte glattweg ab, dort hinzufahren. Also haben wir dieselbe Tour gemacht wie alle zwei Jahre: Ypern, Beaumont Hamel, Delviller Wald, Thiepval.« Er tippte auf die Karte vor sich. »Er muss inzwischen jeden Namen auf dem Menentor auswendig können. Der einzige Ort, den wir ausgelassen haben, ist der Soldatenfriedhof Vimy.«
»Armer Rad«, sagte Lexi beruhigend.
»Aber er ist so zwanghaft«, fuhr Rad fort. Er hatte eine Hand in seinem Haar, als müsste er sich ganze Büschel ausreißen. »Auf dem Marktplatz in Cambrai gibt es eine Pommesbude, und da halten wir immer auf dem Weg runter. Ich weiß nicht, warum; die Pommes sind nicht mal besonders gut. Aber wir sind aufgehalten worden, und als wir dort ankamen, war die Mittagszeit vorbei, und die Bude hatte geschlossen. Und Dad hat einen unglaublichen Wutanfall bekommen. Ich dachte, er würde in Tränen ausbrechen und mit dem Fuß aufstampfen.«
»Wenigstens konntest du diesmal fahren, Rad«, sagte Frances. »Das muss es einfacher gemacht haben.«
»Wir haben uns beim Fahren abgewechselt«, gab er zu. »Ich wollte nicht die ganze Strecke fahren. Ich wollte ihn nicht entmannen.«
Mr. Radley erschien in der Tür zur Bar und war noch dabei, sein Hemd zuzuknöpfen. »Ah, bonjour«, rief er und steuerte mit offenen Armen und flatternden Manschetten auf uns zu.
»Oh Gott, das ist noch so ein Punkt«, flüsterte Rad mir und Frances zu, als Lexi auf ihren Mann zuging und Küsse ausgetauscht wurden. »Wenn wir eine Bar oder ein Café betreten, will er immer, dass ich vorgehe, damit er ein paar Minuten später hereinkommen, diese ›bonjour, bonjour‹Masche abziehen und mir auf den Rücken schlagen kann. Als ich ungefähr zwölf war, fand ich das lustig, aber jetzt ist es nur noch verdammt peinlich.«
»Hallo, Mädels«, sagte Mr. Radley. »Du siehst braun aus, Frances, und Blush, du siehst, äh, rosa aus.«
»Rad sagt, eure Fahrt war gelungen«, log Lexi aalglatt.
»Na ja, wir hatten ein oder zwei Probleme. Diese verdammte Pommesbude in Cambrai. Und wir haben es noch nicht nach Vimy geschafft - ich dachte, wir könnten morgen hinfahren ...«
Als Lexi etwas später verkündete, dass sie ins Bett gehen wollte, knallte Mr. Radley zwei Schlüssel auf die Bar. »Rad und ich haben uns ein Zimmer geteilt, aber für heute Nacht habe ich zwei Zimmer gebucht, also, wie wollen wir es machen? Die Jungs in einem, die Mädchen im anderen? Oder schläfst du heute Nacht bei mir, Lex?«
»Tja, das hängt davon ab, ob es Abigail etwas ausmacht, im selben Zimmer zu schlafen wie Rad.«
»Ach, das macht ihr nichts aus«, sagte Mr. Radley überzeugt. Die beiden sprachen oft liebevoll über mich, so als wäre ich nicht vorhanden.
»Du kannst nicht einfach davon ausgehen«, sagte Lexi. »Manche Mädchen würden es vielleicht sehr einschüchternd finden.«
»Ich würde Rad nicht als einschüchternd bezeichnen schau ihn dir an«, sagte Mr. Radley. Rad war an der Bar fast eingeschlafen, den Kopf auf den verschränkten Armen.
»Wer sagt, ich bin nicht einschüchternd?«, protestierte Rad schläfrig, ohne aufzublicken.
»Ich meinte nicht Rad«, sagte Lexi. »Ich meinte, dass manche Mädchen in Abigails Alter
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