Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
sich bei dem Gedanken, mit einem Jungen in einem Zimmer zu schlafen, unbehaglich fühlen könnten.«
    »Tja, wieso fragt ihr sie denn nicht?«, sagte Frances leicht ungeduldig.
    Mr. Radley wandte sich an mich. »Nun, Blush?«
    »Wer, ich?«, sagte ich. »Ich hatte irgendwie vergessen, dass ich auch noch da bin.« Und darüber lachten alle, sogar Rad, der sich inzwischen aufgesetzt hatte. Ich war in einer Zwickmühle. Zu hastig zuzustimmen hätte Lexis Sensibilität mir gegenüber nicht gebührend gewürdigt. »Eigentlich macht es mir nichts aus«, sagte ich. Mr. Radley nahm einen Schlüssel und schob mir den anderen über den Tisch zu.
    »Mir fällt auf, dass mich niemand fragt, ob es mir etwas ausmacht«, rief Rad hinter seinen Eltern her.
    »Er hat die ganze Woche nur gejammert«, sagte Mr. Radley auf dem Weg nach draußen laut zu Lexi. »Ich glaube nicht, dass ich ihn nächstes Jahr wieder einlade, mitzukommen.«
    Ich schlief nicht gut. Um mich nicht vor Rad ausziehen zu müssen, war ich unter dem Vorwand, eine Postkarte nach Hause zu schreiben, noch ein paar Minuten allein in der Bar geblieben - eine fadenscheinige Ausrede: Wir würden in sechsunddreißig Stunden wieder zu Hause sein. Als ich nach oben ging, schliefen die beiden anscheinend schon; ein Haarbüschel auf dem Kissen war alles, was von Rad über dem Laken zu sehen war. Frances, im Doppelbett, hatte es geschafft, sich diagonal zu legen, und ließ sich selbst durch sanfte Tritte von mir nicht wecken, deshalb musste ich mich in dem kleinen Dreieck freier Matratze zusammenrollen. Es war eine heiße Nacht, und wegen der dröhnenden Jahrmarktsmusik waren die Fenster geschlossen. Ich schob die Decken zur Seite und schwitzte ins Kissen. Frances, die nicht wachzukriegen war, hatte sich nicht gerührt - wenn überhaupt, war sie näher an mich herangerückt. Ich spürte die Hitze, die Hitze, die ihr Körper ausströmte an meinem Rücken. Um halb zwei, als der Jahrmarktslärm endlich zu Ende war, schlüpfte ich aus dem Bett, um das Fenster zu öffnen, wobei die Dielenbretter, lose wie Klaviertasten, unter meinen Füßen knarrten.
    »Wer ist das?«, flüsterte eine Stimme aus dem Bett in der Ecke.
    »Abigail. Ich lasse nur ein bisschen Luft rein.« Es knackte, als sich das Fenster ruckend öffnete und sich trockene Farbschichten voneinander lösten; warme, suppige Luft, die leicht nach Pommesfett und Zigarettenqualm roch, wehte durch die Fensterläden.
    »Ich kann nicht schlafen«, sagte Rad.
    »Ich auch nicht.«
    »Das war der Lärm da draußen. Und die Hitze.«
    »Jetzt sollte es besser werden.« Ich fächelte mir ein bisschen Luft zu, um mein Gesicht zu kühlen, bevor ich zurück ins Bett ging. »Jetzt sollten wir schlafen können«, sagte ich, aber der Gedanke, dass wir beide im Dunkeln wach lagen und dem Atem des anderen lauschten, erwies sich als zu großer Störfaktor, und ich blieb trotz Müdigkeit schlaflos bis in die frühen Morgenstunden.
    »Ich weiß nicht, was das heutzutage mit euch jungen Mädchen ist«, sagte Mr. Radley, als wir am nächsten Morgen unsere Plätze am Frühstückstisch einnahmen. »Ist es eure Absicht, so hässlich wie möglich auszusehen? Oder soll die Schäbigkeit der Kleidung einen Kontrast zu eurer Schönheit bilden?«
    Zu der Zeit folgten Frances und ich einer Mode, deren Parole »schlampig« war. Sie trug ein schwarzes T-Shirt, das ihr mehrere Nummern zu groß war, über einem nicht sehr sauberen Jerseyrock, der ihr bis zu den Knöcheln reichte und sich an Gesäß und Knien ausbeulte, wenn sie sich setzte. Ich hatte eine lange, formlose Jeans-Tunika an, die durch wiederholtes Waschen fast weiß war, und ein grünes T-Shirt, das ich schwarz zu färben versucht hatte, das jedoch fleckig und seetangfarben geworden war. Flache Schuhe und ein nachlässiger Gang waren die notwendigen Accessoires dazu.
    »Dir kommt nicht in den Sinn, dass du nicht die Art Mann bist, auf die sie anziehend wirken wollen?«, gab Lexi zu bedenken.
    »Für mich sehen sie okay aus«, sagte Rad.
    »Vielleicht haben wir einfach wichtigere Sorgen als unser Aussehen«, sagte Frances indigniert.
    »Zum Beispiel?«, sagte Mr. Radley.
    Auf Frances‘ Stirn erschienen vor Konzentration tiefe Furchen, während sie vergeblich nach einer Antwort suchte.
    »Ich weiß nicht«, seufzte Mr. Radley. »Irgendwie scheint es eine solche Verschwendung zu sein. Es dauert nicht mehr lange, bis ihr furchtbare, vierzigjährige, alte Hexen seid, und es total egal ist, was ihr

Weitere Kostenlose Bücher