Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Kindergarten- und Grundschulzeit in Stuttgart-Heslach verbracht hat.
Yasemin doziert noch ein bisschen weiter, über Gott und die Welt, schlechtgelaunte Chefinnen, langweilige Partys und Männer, die Frauen über vierzig nur als Altenpflegerin akzeptieren, und ich gieße mir die übernächste Tasse Kaffee ein, fahre mit dem Lappen über die Anrichte, streiche
5 Scheiben grober Leberkäs
auf dem Einkaufszettel durch (das kann ich Rudolf trotz allem nicht zumuten!), überlege mir einen passenden Ausstieg aus dem Telefonat, irgendeine tröstliche Bemerkung am besten, denn Yasemin hat sich mittlerweile in die Weltpolitik hineingeredet, da entdecke ich Rudolf im Garten. Wogegen an sich wenig spricht, frische Luft tut ihm bestimmt gut. Allerdings nicht, wenn er sein Handy ans Ohr presst und sich augenscheinlich äußerst charmant unterhält. Sogar durch das geschlossene Fenster höre ich ihn amüsiert lachen.
»Ich ruf dich wieder an!«, unterbreche ich Yasemins trübsinnige Betrachtungen (sie ist inzwischen beim Berliner Arbeitsmarkt angelangt) und lege auf. Vorsichtig öffne ich das Küchenfenster, Millimeter um Millimeter schiebe ich es auf, aber dann knarrt es doch, Rudolf beendet sofort sein Telefongespräch, und ich ärgere mich. Wäre klüger gewesen, ich hätte vorhin sein Handy in die Küche mitgenommen, anstatt es einfach nur unter die Serviette zu schieben.
»Irgendwas Wichtiges?«, rufe ich in den Garten.
Rudolf kommt ans Fenster, schaut bekümmert. »Ramón meint, ich solle ruhig noch ein paar Tage hierbleiben. Es geht vermutlich noch eine ganze Weile länger, bis die Galerie wieder so einigermaßen in Schuss ist. Ich hab’s ja immer schon gewusst, wie unzuverlässig Handwerker heutzutage sind.«
»Du wolltest ja unbedingt umbauen«, sage ich mitleidlos. Davon abgesehen ist er ein grauenhaft schlechter Lügner. Ich habe nämlich noch nie erlebt, dass er wie ein verliebter Kater schnurrt, wenn er mit Ramón telefoniert. Im Gegenteil, wenn er mit seinem Sales Director spricht, wirkt er meistens ziemlich verkrampft. Was vielleicht auch daran liegt, dass Ramón wirklich Ahnung von moderner Kunst hat, vermutlich mehr als Rudolf.
5. Kapitel
»Wenn ich morgen Abend schon wieder in der Galerie bin, denkt Ramón womöglich, ich würde ihn kontrollieren«, fängt Rudolf schon wieder an. »Aus betriebspsychologischen Gesichtspunkten ist das eher ungünstig. Mitarbeiter sollten nämlich immer das Gefühl größtmöglicher Handlungsfreiheit haben und …«
Wir fahren durch den Mochenwanger Wald, auf den ausdrücklichen Wunsch meines Herzallerliebsten, der angeblich etwas von der »unberührten schwäbischen Landschaft« sehen will. Was ich ihm natürlich nicht im Geringsten abnehme, genauso wenig wie seine plötzliche Rücksichtnahme auf Ramón und seine neuesten psychologischen Erkenntnisse.
»Ah ja«, mache ich, als Rudolf seinen Vortrag beendet hat, drehe die Heizung an und halte meine frisch lackierten Fingernägel an die Luftdüse. Endlich komme ich mal in aller Ruhe zur Schönheitspflege, denn natürlich hat Rudolf sich sofort ans Steuer gesetzt. Keine Frage, er muss unbedingt wissen, wie schnell Papas Auto fährt.
»Muss das jetzt sein?«
Ich nicke wortlos, drehe die Heizung noch weiter, auf Maximum, denn Nagellack sollte möglichst schnell trocknen. »Wenn es dir zu heiß wird, kannst du ja das Fenster aufmachen«, schlage ich vor.
»Klemmt aber.« Rudolf wischt sich demonstrativ über die Stirn.
Ich finde, er soll sich bloß nicht so anstellen, da hätte ich wohl eher Grund dazu. Immerhin sitze ich jetzt direkt im Heißluftstrom und verziehe dabei keine Miene. »Du und Moni, ihr wart also spazieren«, fasse ich das Ergebnis meines Verhörs vom Morgen nochmals zusammen und mache ein eher desinteressiertes Gesicht. Als Rudolf einen Moment abgelenkt ist (er hat einen alten Traktor gesichtet und kriegt sich nicht mehr ein vor Begeisterung, fährt sogar extra langsam), richte ich den Luftstrom direkt auf meinen Herzallerliebsten. »Wo?«
»Was?«
»Wo ihr spazieren wart!«
»Hab ich doch alles schon erzählt!«
»Ich weiß«, sage ich geduldig. »Spaziergang. Aber bis nachts um drei?«
Ich überlege, ob ich es wagen kann, zusätzlich seine Sitzheizung anzustellen, aber wer weiß schon, wie Rudolf in einer echten Stresssituation reagiert. Und um eine solche handelt es sich im Moment eindeutig, denn inzwischen haben sich auf seiner Stirn Schweißperlen gebildet, und mir wird klar, dass ich mein Verhör
Weitere Kostenlose Bücher