Seelen der Nacht
gewordenen Steigbügeln, und meine Finger woben sich durch ihre Mähne. Matthew und Dahr donnerten hinter uns her. Es war wie in meinem Traum, in dem mich Hunde und Pferde gejagt hatten. Meine Linke krallte sich in die Mähne, und ich schmiegte mich, ohne die Augen zu öffnen, an Rakasas Hals.
Flieg , wiederholte ich, doch die Stimme in meinem Kopf klang plötzlich fremd. Rakasa reagierte, indem sie noch schneller wurde.
Ich spürte, dass der Baum näher kam. Matthew fluchte auf Okzitanisch, und Rakasa wich in letzter Sekunde nach links aus, um dann erst in einen leichten Trab und anschließend in einen langsamen Trott
zu fallen. Ich merkte, wie etwas an ihren Zügeln zupfte. Erschrocken riss ich die Augen auf.
»Reitest du unbekannte Pferde immer in vollem Galopp, mit geschlossenen Augen, ohne Zügel und ohne Steigbügel?« In Matthews Stimme lag kalter Zorn. »Rudern tust du auch mit geschlossenen Augen – ich habe dich beobachtet. Und du gehst mit geschlossenen Augen spazieren. Ich hatte von Anfang an den Verdacht, dass das etwas mit Magie zu tun hat. Offenbar setzt du deine Kräfte auch beim Reiten ein. Sonst wärst du jetzt tot. Und auch wenn dich das wahrscheinlich nicht interessiert, ich glaube, du lenkst Rakasa mit deinen Gedanken statt mit Händen und Füßen.«
Ich fragte mich, ob das stimmte. Matthew gab einen ungeduldigen Laut von sich und stieg ab, indem er das rechte Bein über Dahrs Kopf schwang, den linken Fuß aus dem Steigbügel zog und dann mit dem Gesicht zu mir vom Rücken des Pferdes rutschte.
»Jetzt steig ab«, sagte er rau und griff nach Rakasas losen Zügeln.
Ich stieg lieber auf traditionelle Weise ab, indem ich das rechte Bein über Rakasas Rumpf schwang. Sobald ich Matthew den Rücken zugedreht hatte, fasste er mich um die Taille und hob mich herunter. Jetzt begriff ich, warum er lieber mit dem Gesicht nach vorn abstieg. Auf diese Weise konnte ihn niemand von hinten packen und vom Pferd ziehen. Er drehte mich um und drückte mich an seine Brust.
»Dieu«, flüsterte er mir ins Haar. »Bitte tu so etwas nie wieder.«
»Du hast doch selbst gesagt, ich soll nicht denken. Darum hast du mich nach Frankreich mitgenommen.« Seine Reaktion verblüffte mich.
»Verzeih mir«, sagte er. »Ich versuche ja, mich nicht einzumischen. Aber ich kann nur schwer zusehen, wie du Kräfte einsetzt, von denen du nichts verstehst – vor allem wenn du gar nicht merkst, dass du sie einsetzt.«
Matthew ging ein paar Schritte beiseite und band die Pferde zusammen, wobei er den Tieren genug Spielraum ließ, um das spärliche Herbstgras zu fressen. Schließlich kam er mit düsterer Miene zurück.
»Ich muss dir etwas zeigen.« Er führte mich zu dem Baum, und wir
setzten uns darunter. Ich winkelte die Beine seitlich ab, damit mir die Reitstiefel nicht ins Fleisch schnitten. Matthew ließ sich schlicht fallen, die Knie auf dem Boden und die Füße unter den Schenkeln.
Er fasste in die Tasche seiner Reithose und zog ein Papier mit schwarzen und grauen Balken auf weißem Grund heraus. Es war mehrmals zusammengefaltet.
Und es war eine DNA-Analyse. »Meine?«
»Deine.«
»Wann?« Meine Finger fuhren die Balken nach.
»Marcus hat mir die Ergebnisse ins New College gebracht. Ich wollte sie dir nicht zeigen, nachdem man dir gerade den Tod deiner Eltern ins Gedächtnis gerufen hatte.« Er zögerte. »War es richtig zu warten?«
Ich nickte, und Matthew wirkte aufrichtig erleichtert. »Was steht darin?«, fragte ich.
»Wir verstehen noch nicht alles«, erwiderte er langsam. »Aber Marcus und Miriam haben in deiner DNA viele Marker identifiziert, die uns bereits bekannt waren.«
Miriams winzige, präzise Handschrift zog sich am linken Rand des Blattes abwärts, während die teils rot eingekreisten Balken auf der rechten Seite nach unten wanderten. »Das ist der genetische Marker für Präkognition«, begann Matthew und deutete auf den ersten eingekreisten Fleck. Sein Finger wanderte weiter abwärts. »Das ist der für die Fähigkeit zu fliegen. Der hier hilft Hexen, Verlorenes aufzuspüren.«
Matthew ratterte immer mehr magische Kräfte und Fähigkeiten herunter, bis mir schwindlig wurde.
»Der hier steht für die Fähigkeit, mit Toten zu reden, der hier für Gestaltwandlung, der für Telekinese, dieser für Bannsprüche, der für Zaubersprüche, der hier für Verwünschungen. Außerdem kommen bei dir Gedankenlesen, Telepathie und Empathie hinzu – die liegen dicht beieinander.«
»Das kann nicht
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