Seelen der Nacht
mir keine Wahl.« Matthews Antwort ließ ihn erstarren.
»Wahl?«, schnaubte Baldwin. »Du wirst tun, was ich dir sage.«
»Ich mag zwar nicht das Familienoberhaupt sein, aber das hier ist keine Familienangelegenheit mehr.« Plötzlich hatte Matthew begriffen, was Ysabeau mit ihrer vorigen Bemerkung gemeint hatte.
»Schön.« Baldwin zuckte mit den Achseln. »Wenn du meinst, dann zieh in deinen albernen Krieg. Mach dich auf die Suche nach deiner Hexe. Nimm Marthe mit – sie scheint genauso in sie verschossen zu sein wie du. Wenn ihr beide euch unbedingt mit allen Hexen und der gesamten Kongregation anlegen wollt, dann ist das eure Sache. Aber ich werde dich enterben, um die Familie zu schützen.«
»Ich enthebe die de Clermonts jeder Verantwortung für das Wohlergehen von Diana Bishop. Fortan werden die Lazarusritter für ihre Sicherheit bürgen, so wie sie es in der Vergangenheit für andere getan haben.«
Ysabeau wandte sich ab, damit man ihre stolze Miene nicht sah.
»Das ist nicht dein Ernst«, zischte Baldwin. »Wenn du die Bruderschaft einberufst, kommt das einer Kriegserklärung gleich.«
»Wenn du dich so entscheidest, kennst du die Konsequenzen. Ich könnte dich wegen Ungehorsams töten, aber dazu fehlt mir die Zeit. Du hast deine Ländereien und deinen Besitz verwirkt. Verlasse dieses Haus, und gib dein Amtssiegel ab. Noch in dieser Woche wird ein neuer Meister für Frankreich ernannt. Du stehst außerhalb des Schutzes des Ordens und hast sieben Tage Zeit, dir ein neues Heim zu suchen.«
»Versuch mir Sept-Tours abzunehmen«, knurrte Baldwin, »und du wirst es bereuen.«
»Sept-Tours gehört nicht dir. Es gehört den Lazarusrittern. Ysabeau wohnt mit dem Segen der Bruderschaft hier. Ich werde dir noch eine letzte Chance geben, an unseren Maßnahmen teilzuhaben.« Matthews Befehlston duldete keinen Widerspruch. »Baldwin de Clermont. Ich fordere dich auf, getreu dem von dir geleisteten Schwur in die Schlacht zu ziehen, wo du meinem Kommando unterstehen wirst, bis ich dich davon entbinde.«
Er hatte diese Worte seit ewigen Zeiten nicht mehr ausgesprochen oder niedergeschrieben, trotzdem erinnerte sich Matthew genau an jedes einzelne. Die Lazarusritter waren ein unauslöschlicher Teil von ihm, genau wie Diana. Lang nicht mehr benutzte Muskeln spannten sich tief in seinem Leib an, und rostig gewordene Talente begannen sich zu schärfen.
»Die Ritter kommen ihrem Führer nicht zu Hilfe, nur weil den das Liebesglück verlassen hat, Matthew. Wir haben in der Schlacht von Akkon gekämpft. Wir haben den Albigenser Häretikern geholfen, den Angreifern aus dem Norden zu widerstehen. Wir haben die Auflösung des Templerordens und die Vorstöße der Engländer bei Crécy und Agincourt überlebt. Die Lazarusritter waren auf den Schiffen, die bei Lepanto das ottomanische Imperium zurückschlugen, und wir beendeten den Dreißigjährigen Krieg, als wir uns schließlich weigerten, noch länger zu kämpfen. Die Bruderschaft besteht, um das Überleben der Vampire in einer von Menschen dominierten Welt sicherzustellen.«
»Anfangs ging es uns darum, jene zu beschützen, die sich nicht selbst schützen konnten, Baldwin. Unser Heldenmythos war nur ein unerwartetes Nebenprodukt dieser Mission.«
»Vater hätte dir den Orden nicht anvertrauen dürfen, als er starb. Du bist ein Träumer, kein Befehlshaber. Du hast nicht das Rückgrat, schwierige Entscheidungen zu fällen.« Aus jedem Wort sprach Baldwins Verachtung für seinen Bruder, aber sein Blick wirkte bedrückt.
»Diana hat sich an mich gewandt, weil sie Schutz vor ihren eigenen
Leuten suchte. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihn bekommt – so wie die Ritter die Bürger Jerusalems, Deutschlands und Okzitaniens schützten, als sie bedroht wurden.«
»Niemand wird dir glauben, dass du damit keine persönlichen Ziele verfolgst, genauso wenig, wie sie das 1944 geglaubt hätten. Damals hast du dich anders entschieden.«
»Damals habe ich mich geirrt.«
Baldwin sah ihn entsetzt an.
Matthew holte tief und bebend Luft. »Damals hielt ich mich zurück, weil ich fürchtete, unsere Familiengeheimnisse zu offenbaren, und weil ich den Zorn der Kongregation nicht auf uns ziehen wollte. Damit ermutigte ich unsere Feinde nur, die Familie erneut anzugreifen, und diesen Fehler werde ich bei Diana nicht noch einmal begehen. Die Hexen werden vor nichts zurückschrecken, wenn sie mehr über ihre Kräfte erfahren können. Sie sind bereits in unser Heim eingedrungen und
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