Seelen der Nacht
Ich drehte den Kopf und versuchte etwas zu erkennen. Nachdem Satu mich stundenlang auf dem Bauch hatte liegen lassen, hielt ich es nicht aus, dass jemand hinter mir stand – selbst wenn es Matthew war. Das Schlottern verstärkte sich.
»Hör auf, Matthew«, drängte Ysabeau. »Sie erträgt das nicht.«
Eine Schere fiel klappernd zu Boden.
»Schon gut.« Matthew drückte seinen Körper liebevoll gegen meinen. Dann verschränkte er die Arme vor meiner Brust und hüllte mich komplett ein. »Ich schneide ihn von vorne auf.«
Als das Zittern nachgelassen hatte, kam er nach vorn und schnitt mir den Stoff vom Körper. Der kalte Luftzug an meinem Rücken verriet mir, dass ohnehin kaum etwas von dem Pullover übrig war. Er durchtrennte meinen BH und hob dann den Pullover von vorne ab.
Ysabeau schnappte nach Luft, als die letzten Fetzen von meinem Rücken abfielen.
»Maria, Deu maire «, hauchte Marthe entsetzt.
»Was ist denn? Was hat sie getan?« Der ganze Raum schien zu schwanken wie ein Kronleuchter bei einem Erdbeben. Matthew drehte mich zu seiner Mutter um. Ihr Gesicht war von Trauer und Mitleid gezeichnet.
»La sorcière est morte«, sagte Matthew leise.
Er plante bereits, die nächste Hexe zu töten. Meine Adern vereisten, und an den Rändern meines Blickfeldes wurde es schwarz.
Matthews Hände hielten mich aufrecht. »Bleib bei uns, Diana.«
»Musstest du Gillian töten?« Ich schluchzte.
»Ja.« Die Antwort kam knapp und tonlos.
»Und warum musste ich es von jemand anderem erfahren? Satu hat mir erzählt, dass du in meinem Apartment warst – dass du mich mit deinem Blut betäubt hast. Warum, Matthew? Warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Weil ich Angst hatte, dich zu verlieren. Du weißt so wenig über mich, Diana. Diese Verschwiegenheit, dieser Instinkt, alle um mich herum zu beschützen – und notfalls auch dafür zu töten. Das bin ich.«
Mit nichts als einem Handtuch um die Hüften drehte ich mich zu ihm um. Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und meine Gefühle schwankten zwischen Angst und Zorn und etwas noch Düstererem. »Du willst also auch Satu töten?«
»Ja.« Er versuchte sich nicht zu rechtfertigen und nannte keine Gründe, doch ich sah den mühsam unterdrückten Zorn in seinen Augen. Kalt und grau tasteten sie mein Gesicht ab. »Du bist viel mutiger als ich. Das habe ich dir schon einmal erklärt. Willst du sehen, was sie dir angetan hat?« Matthew packte mich an den Ellbogen.
Ich dachte kurz nach und nickte dann.
Ysabeau protestierte in einem Schwall Okzitanisch, doch Matthew brachte sie mit einem Zischen zum Verstummen.
»Sie hat es überlebt, als es ihr angetan wurde, Maman. Es zu sehen, kann unmöglich schlimmer sein.«
Ysabeau und Marthe gingen nach unten, um zwei Spiegel zu holen, während Matthew meinen Rumpf ganz vorsichtig mit dem Handtuch abtupfte.
»Bleib bei mir«, wiederholte er jedes Mal, wenn ich vor dem rauen Stoff zurückzuweichen versuchte.
Die Frauen kehrten mit einem goldgerahmten Spiegel aus dem Salon sowie mit einem hohen Standspiegel zurück, den nur ein Vampir in den Turm hatte tragen können. Matthew stellte den größeren Spiegel hinter mir auf, während Ysabeau und Marthe den zweiten leicht angewinkelt vor mich hinhielten, sodass ich meinen Rücken und auch Matthew darin sehen konnte.
Nur dass das unmöglich mein Rücken sein konnte. Er gehörte jemand anderem – jemandem, der gepeitscht und versengt worden war, bis nur noch rote und blaue und schwarze Flecken zu sehen waren. Dazwischen erkannte ich merkwürdige Zeichen – Kreise und Symbole. Die Erinnerung an das Feuer flammte entlang der Wunden wieder auf.
»Satu hat gesagt, sie würde mich öffnen«, flüsterte ich wie hypnotisiert. »Aber ich habe meine Geheimnisse bewahrt, Mama, so wie du es wolltest.«
Ich sah noch im Spiegel, wie Matthew mich aufzufangen versuchte, dann hüllte mich die Dunkelheit ein.
Ich erwachte neben dem Kamin im Schlafzimmer. Mein Unterleib war immer noch in ein Handtuch gewickelt, und ich hockte vornübergebeugt auf der Kante eines Sessels mit Damastbezug, während mein Oberkörper auf einigen Kissen ruhte, die auf einem zweiten damastbezogenen Sessel aufgestapelt worden waren. Ich sah nur Füße und spürte gleichzeitig, wie jemand meinen Rücken einsalbte. Es war Marthe, deren kräftiger Griff sich deutlich von Matthews kühlen Fingern unterschied.
»Matthew?«, krächzte ich und drehte den Kopf zur Seite, um Ausschau nach ihm zu
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