Seelen der Nacht
bestimmt schon siebzig«, erzählte Em. »Ich werde nie vergessen, wie sie dabei aussah und was für ein Gefühl es war, dieser Kraft so nahe zu sein.«
»Hexenfeuer ist tödlich. Kein Bann kann es abwenden, kein Hexenspruch kann die Verbrennungen heilen«, erklärte Sarah. »Meine Mutter hat mir zu meinem eigenen Schutz gezeigt, woran man es erkennt – an dem Schwefelgeruch und den Bewegungen des Hexenarms. Sie sagte, wenn das Hexenfeuer beschworen wird, sei die Göttin anwesend. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es in diesem Leben noch zu sehen bekommen
würde, und ich hätte ganz bestimmt nicht erwartet, dass meine Nichte es in meiner eigenen Küche auf mich richtet. Hexenfluten kann sie auch?«
»Ich hatte gehofft, das Hexenfeuer würde uns erspart bleiben«, gestand Matthew. »Erzählt mir von Stephen Proctor.«
Bis vor Kurzem hatte ich den autoritären Ton, den er in Augenblicken wie diesem anschlug, für ein Überbleibsel aus seiner soldatischen Vergangenheit gehalten. Seit ich von den Lazarusrittern wusste, war mir klar, dass er immer noch Soldat war.
Sarah allerdings war es nicht gewohnt, dass jemand in diesem Ton mit ihr sprach, und sträubte sich sichtlich. »Stephen mied die Öffentlichkeit. Er stellte seine Kraft nicht zur Schau.«
»Kein Wunder, dass die Hexen danach zu graben begannen.«
Ich kniff die Augen zusammen, um nicht mehr die Leiche meines Vaters sehen zu müssen, dessen Rumpf vom Hals bis zu den Schenkeln aufgeschlitzt worden war, um den anderen Hexen Einblick in seine Magie zu gewähren. Um ein Haar hätte mich das gleiche Schicksal ereilt.
Matthews schwerer Körper bewegte sich durch den Flur, und das Haus protestierte gegen das ungewohnte Gewicht. »Er war ein erfahrener Zauberer, trotzdem war er ihnen nicht gewachsen. Diana hat vielleicht seine Fähigkeiten geerbt – und auch Rebeccas, Gott steh ihr bei. Aber ihr fehlt das Wissen, über das die beiden verfügten, und ohne dieses Wissen ist sie hilflos. Ihr hättet ihr genauso gut eine Zielscheibe auf die Brust malen können.«
Ich lauschte weiter schamlos.
»Sie ist nicht so was wie ein Transistorradio, Matthew«, versuchte sich Sarah zu verteidigen. »Als Diana zu uns kam, hatte sie weder Batterien noch Bedienungsanleitung dabei. Wir haben unser Bestes getan. Nachdem Rebecca und Stephen ermordet worden waren, hat sie sich völlig verändert und sich so weit zurückgezogen, dass niemand sie erreichen konnte. Was hätten wir denn tun sollen? Hätten wir sie zwingen sollen, sich dem zu stellen, was sie um jeden Preis verleugnen wollte?«
»Ich weiß es nicht.« Matthew war der Ärger anzuhören. »Jedenfalls hättet ihr sie nicht so wehrlos lassen dürfen. Diese Hexe hat sie über zwölf Stunden gefangen gehalten.«
»Wir werden ihr alles beibringen, was sie wissen muss.«
»Ich hoffe für sie, dass ihr dafür nicht allzu lang braucht.«
»Sie wird ihr ganzes Leben dazu brauchen«, fauchte Sarah ihn an. »Magie ist kein Makramé. Sie braucht Zeit.«
»Wir haben aber keine Zeit«, fauchte Matthew zurück. Das Quietschen der Dielen verriet mir, dass Sarah instinktiv einen Schritt zurückgetreten war. »Bis jetzt hat sich die Kongregation auf Katz-und-Maus-Spiele beschränkt, aber das Zeichen auf Dianas Rücken sagt mir, dass diese Tage gezählt sind.«
»Wie kannst du es wagen, das, was meiner Nichte widerfahren ist, als Spiel zu bezeichnen?« Sarah wurde lauter.
»Psst«, mahnte Em. »Ihr werdet sie noch aufwecken.«
»Wie könnten wir herausfinden, unter welchem Bannfluch Diana steht, Emily?« Jetzt flüsterte Matthew wieder. »Was ist euch noch von den Tagen im Gedächtnis, bevor Rebecca und Stephen nach Afrika aufbrachen – irgendwelche Dinge, die ihnen Sorgen machten?«
Ein Bannfluch.
Das Wort hallte in meinem Kopf wider, während ich mich langsam hochzog. Bannflüche waren wenigen Ausnahmesituationen vorbehalten – in denen Lebensgefahr, Wahnsinn, das reine und unzähmbare Böse drohten. Es genügte, damit zu drohen, um ins Visier anderer Hexen zu geraten.
Ein Bannfluch?
Bis ich aufgestanden war, stand Matthew bereits neben mir. Er sah mich ernst an. »Was brauchst du?«
»Ich will mit Em reden.« Meine Finger knisterten und liefen blau an. Genau wie meine Zehen, die aus den schützenden Verbänden um meinen Knöchel herausragten. Als ich an ihm vorbeischlurfte, verfing sich die Gaze unter meiner Sohle an einem herausstehenden Nagel in einer Diele.
Sarah und Em erwarteten mich ängstlich am
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