Seelen der Nacht
würde mir göttliche Linderung verschaffen.
»Sie ist weggegangen.« Ems feiner Mund schrumpfte zu einem dünnen Strich zusammen.
»Sie gibt Matthew die Schuld an allem.«
Em ließ sich auf die Knie nieder, bis ihre Augen auf einer Höhe mit meinen waren. »Das hier hat nichts mit Matthew zu tun. Du hast einem Vampir – einem verzweifelten, sterbenden Vampir – Blut gespendet.« Sie brachte meine Proteste mit einem einzigen Blick zum Verstummen. »Ich weiß, dass er nicht irgendein Vampir ist. Trotzdem könnte Matthew dich töten. Und Sarah macht sich bitterste Vorwürfe, weil es ihr nicht gelingt, dir beizubringen, wie du deine Kräfte kontrollieren kannst.«
»Sarah braucht sich um mich keine Sorgen zu machen. Habt ihr nicht gesehen, was ich mit Juliette angestellt habe?«
Sie nickte. »Und nicht nur das.«
Jetzt sah meine Großmutter nicht mehr auf die Vertäfelung, sondern auf mich.
»Ich habe gesehen, wie hungrig Matthew von dir getrunken hat«, fuhr Em leise fort. »Ich habe auch die Jungfrau und das alte Weib hinter der Feuerwand stehen sehen.«
»Hat Sarah sie auch gesehen?«, flüsterte ich und hoffte, dass Miriam uns nicht hörte.
Em schüttelte den Kopf. »Nein. Weiß Matthew Bescheid?«
»Nein.« Erleichtert, dass Sarah nicht mitbekommen hatte, was gestern Abend passiert war, strich ich meine Haare zurück.
»Was hast du der Göttin im Tausch für sein Leben angeboten, Diana?«
»Alles, was sie wollte.«
»Ach, mein Schätzchen.« Ems Gesichtszüge fielen in sich zusammen. »Das hättest du nicht tun dürfen. Niemand kann sagen, wann sie dein Versprechen einfordern wird – und was sie dann verlangt.«
Meine Großmutter wippte wie besessen vor und zurück. Em beobachtete das wilde Geschaukel des Stuhles.
»Ich musste es tun, Em. Die Göttin hatte offenbar damit gerechnet. Irgendwie erschien es mir unausweichlich – und richtig.«
»Hattest du die Jungfrau und das alte Weib davor schon einmal gesehen?«
Ich nickte. »Die Jungfrau war mir im Traum erschienen. Manchmal ist es so, als würde ich in ihr stecken und beim Reiten oder Jagen durch ihre Augen sehen. Und das alte Weib hat vor der Stube auf mich gewartet.«
Damit hast du dich in tiefes Wasser vorgewagt , raschelte meine Großmutter. Hoffentlich kannst du schwimmen.
»Du darfst die Göttin nicht leichtfertig anrufen«, warnte mich Em. »Das sind gefährliche Mächte, die du noch nicht verstehst.«
»Ich habe sie überhaupt nicht gerufen. Die beiden erschienen von selbst, als ich beschloss, Matthew mein Blut zu geben. Sie halfen mir von sich aus.«
Vielleicht hättest du ihm dein Blut nicht geben dürfen. Meine Großmutter schaukelte immer noch so energisch vor und zurück, dass die Dielen quietschten. Ist dir jemals der Gedanke gekommen?
»Du kennst Matthew erst seit ein paar Wochen. Trotzdem befolgst du bereitwillig alle seine Anordnungen und wärst ohne zu zögern für ihn gestorben. Bestimmt verstehst du, dass Sarah sich Sorgen macht. Die Diana, die wir so viele Jahre kannten, ist verschwunden.«
»Ich liebe ihn«, erklärte ich mit Nachdruck. »Und er liebt mich.« Für einen Moment schob ich Matthews viele Geheimnisse – die Lazarusritter, Juliette, sogar Marcus – ebenso beiseite wie das Wissen um sein aufbrausendes Temperament und sein Bedürfnis, alles und jeden in seiner Nähe zu kontrollieren.
Aber Em wusste genau, was ich dachte. Sie schüttelte den Kopf. »Du
darfst das nicht ignorieren, Diana. Das hast du auch mit deiner Magie versucht, trotzdem hat sie dich gefunden. Genauso wird dich all das heimsuchen, was du an Matthew nicht magst oder verstehst. Du kannst dich nicht ewig verstecken. Und jetzt schon gar nicht mehr.«
»Wie meinst du das?«
»Zu viele Wesen interessieren sich für das Manuskript und für dich und Matthew. Ich spüre sie, ich spüre, wie sie auf das Haus und auf dich vorrücken. Ich weiß noch nicht, auf welcher Seite sie in diesem Kampf stehen, aber mein sechster Sinn sagt mir, dass wir das schon bald herausfinden werden.«
Em steckte die Decke um mich herum fest. Dann legte sie noch ein Scheit auf das Feuer und verließ den Raum.
Ich erwachte von dem unverkennbaren würzigen Duft meines Mannes.
»Du bist wieder da«, sagte ich und rieb mir die Augen.
Matthew sah erholt aus, und seine Haut hatte ihren normalen Perlmuttton angenommen.
Er hatte getrunken. Menschenblut.
»Du auch.« Matthew hob meine Hand an seine Lippen. »Miriam hat erzählt, du hättest fast den
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