Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
und habe mich ein paarmal heimlich davongestohlen, um Einar zu besuchen. Habe es zumindest versucht. Ich wollte ihn einfach sehen. Ich war in dieser Nacht auf dem Hof, hatte aber nichts mit dem Tod der beiden zu tun. Ich hätte ihm niemals ein Haar gekrümmt. Wir haben uns geliebt.« Sie lächelte wehmütig, und ein irrer Glanz trat in ihre Augen. »Wir waren so verliebt.« Sie stellte ihre Tasse ab und wischte sich mit den Fingern über die Lippen. »Ich hatte ihm sehr oft geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Sie verstehen doch sicher, wie man sich da fühlt?«
Óðinn und Diljá nickten gewissenhaft.
»Wenn diese abscheulichen Leute ihm meine Briefe gegeben hätten, dann wäre alles anders gekommen. Er hätte mir geantwortet, und ich wäre wieder zu Kräften gekommen, wie der Arzt mir geraten hatte.«
Weder Diljá noch Óðinn fragten, um welche Krankheit es sich gehandelt hatte. Die Frau war eine so merkwürdige Mischung aus seriöser Förmlichkeit und Ungeniertheit, dass sie sich nicht trauten und sie einfach reden ließen.
»Róberta war der erste Mensch, der mir geglaubt hat. Alle anderen halten mich für geisteskrank. Wenn ich anfange, darüber zu sprechen, sagen sie sofort, man müsse mich einweisen, deshalb habe ich gelernt, zu schweigen.« Sie lächelte. »Es hat auch Vorteile, den Mund halten zu können. Doch als ich Róberta traf, durfte ich endlich reden. Wir freundeten uns an, und sie verstand mich, doch das Wichtigste war, dass sie mir glaubte. Es war sehr schmerzhaft, sie zu verlieren. Sie hatte mir versprochen, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Wissen Sie, wer die Jungen getötet hat, wenn es kein Unfall war?«, fragte Óðinn und bereute es, das Fenster zugemacht zu haben. Es war sehr stickig im Besprechungsraum geworden, und ihm schwindelte von dem Parfüm der Frau.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe meine Vermutungen.«
»Wären Sie bereit, die mit uns zu teilen?«, fragte Diljá mit überdeutlicher Betonung, als spreche sie mit einem Kleinkind.
»Ich bin davon überzeugt, dass Veigar der Täter ist. In dem Auspuffrohr steckte ein Lappen, Veigar hat ihn herausgenommen und stattdessen Schnee hineingeschaufelt. Das Dümmste an der ganzen Sache ist, dass es meinem Vater so wichtig war, mich nicht in Verdacht zu bringen, dass er mit Veigar, dem Mörder höchstpersönlich, eine Abmachung traf, natürlich ohne zu wissen, was tatsächlich passiert war. Er hat immer geglaubt, ich sei es gewesen. Er verschaffte Veigar einen guten Job in der Stadt, eine günstige Wohnung und einen Käufer für das Land und den Hof. Alle waren zufrieden.« Sie runzelte die Stirn. »Außer mir.«
»Da muss Ihr Vater aber sehr schnell gewesen sein«, sagte Óðinn, der sich nicht sicher war, ob er den Ablauf richtig verstanden hatte. »Wer hat den Lappen denn gefunden, und wie konnte ihr Vater sicherstellen, dass die Polizei ihn nicht in die Hände bekam? Die wurde doch bestimmt sofort gerufen.«
»Veigar fand den Lappen. Er und mein Vater haben ihn entdeckt. Und ich.« Sie sah, dass das als Erklärung nicht reichte, und fügte hinzu: »Kurz davor hatte Veigar mich hinter dem Haus erwischt. Ich hatte es aufgegeben, Einar noch zu treffen, und war auf dem Weg zur Straße, wo ich den Wagen meiner Mutter abgestellt hatte. Ich bin manchmal nachts heimlich nach Krókur gefahren. Niemand wusste davon, meine Eltern haben sich nur gewundert, dass ich tagsüber so viel schlief, es aber auf meine Krankheit geschoben. Jedenfalls rannte Veigar mir hinterher, schleppte mich in sein Büro und traktierte mich mit Fragen. Als er begriff, wer ich war, rief er meinen Vater an und bat ihn, mich abzuholen. Deshalb war mein Vater da, als der Lappen entdeckt wurde.«
»Ihr Vater und Veigar kamen also gemeinsam zum Unfallort?«, fragte Óðinn. Der Nebel in seinem Kopf lichtete sich allmählich.
Eyjalín nickte.
»Ich war auch dabei, mein Vater zerrte mich mehr oder weniger zu dem Auto. Es war grauenhaft.«
»Und Sie sagen, Veigar hätte den Lappen rausgezogen?«
»Ja, da müsste ich mich richtig erinnern.« Eyjalín schloss die Augen und blieb einen Moment so sitzen. Dann starrte sie Diljá und Óðinn wieder mit großen Augen an. »Doch, so war es. Veigar hat ihn gefunden.«
»Warum hätte er die Aufmerksamkeit auf den Lappen lenken sollen, wenn er ihn selbst in den Auspuff gesteckt hat? Hätte er Ihren Vater und Sie nicht besser ins Haus geschickt und ihn dann verschwinden
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