Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
er machte es nicht, runzelte die Stirn und starrte sie ernst an.
»Nach Blut?«
»Ja, nach Blut. Da war kein Blut, es hat nur danach gerochen. Irgendwie süßlich und metallisch.« Sie strich sich eine Haarsträhne, die der Wind ihr ins Gesicht geweht hatte, hinters Ohr. »Als der Strom wieder da war und Steini, Hákon und Veigar rüberkamen, haben wir überall gesucht, aber nichts gefunden. Tobbi oder ich waren nicht verletzt, daher musste der Geruch von diesem Einbrecher oder was auch immer es war stammen. Und er ist mit ihm wieder verschwunden.«
»Glaubst du, dass er verletzt war?«
»Ich weiß es nicht. Auf dem Fußboden und im ganzen Haus war kein einziger Bluttropfen, es kann also keine blutende Wunde gewesen sein. Vielleicht ein Verband oder so.«
»Bist du dir ganz sicher, dass es nach Blut gerochen hat? Oder könnte es auch etwas anderes gewesen sein?«
»Nein.« Aldís merkte, dass ihre Stimme scharf klang und verstummte. Als sie weitersprach, klang sie schon viel sanfter. »Ich arbeite in der Küche. Ich weiß, wie Blut riecht.«
Sie wollte nicht sagen, dass es ein ähnlicher Geruch gewesen war wie bei der Geburt von Liljas Kind – der Geruch des grauenvollen armen Säuglings und des Zimmers, das sie geputzt hatte.
»Natürlich«, sagte Einar. Er verzog das Gesicht, als könne er ihre Gedanken lesen und hätte die Missgeburt auch für einen Moment gesehen, die bleiche Haut, eingewickelt in ein Laken. »Habt ihr denn draußen irgendwelche Spuren gefunden? Oder sind die zugeschneit?«
Aldís schüttelte den Kopf.
»Wir haben keine Spuren gesehen, aber das hat nicht viel zu sagen. Lilja und Veigar halten das für den Beweis, dass ich Schwachsinn erzähle. Aber es war Schneeregen, und sogar meine Spuren waren weg.« Sie verstummte und schaute wütend nach oben, als sei der Himmel daran schuld. »Wenn der dämliche Tobbi die Wahrheit gesagt hätte, wäre das egal gewesen. Aber er hat keinen Ton gesagt und nur den Kopf geschüttelt, als sie auf ihn eingeredet haben. Jetzt glauben alle, ich wäre bescheuert und hätte Wahnvorstellungen.« Sie sah ihn an. »Habe ich aber nicht.«
»Ich glaube dir. Falls dir das hilft.«
Das war ihr tatsächlich sehr wichtig – und wenn ihr nur eine Person glaubte.
»Danke.« Mehr wollte sie nicht sagen, sonst wäre sie noch ganz rührselig geworden.
Einar wandte seinen Blick von ihr ab und schaute zu dem Beet, in dem die Kippe gelandet war.
»Mann, hätte ich gerne noch eine Zigarette.«
Aldís schwieg, denn daran konnte sie schließlich nichts ändern. Wahrscheinlich hatte er das nur gesagt, um das Thema zu wechseln. Eigentlich war sie froh darüber, denn es gab nicht viel mehr zu sagen. Alles, was über die Tatsachen hinausging, war reine Spekulation, die nichts brachte.
»In Liljas und Veigars Wohnzimmer liegen Zigaretten in einem Kästchen. Ich putze da jede zweite Woche. Ich könnte nächstes Mal eine stibitzen.«
Das war zwar unvernünftig, aber das war ihr völlig egal. Die beiden würden es nie merken, wenn eine Zigarette fehlte, sie rauchten nicht und, soweit Aldís wusste, hatten nie Gäste. Die Zigaretten waren bestimmt vertrocknet und kaum noch zu gebrauchen. Sie konnte also ruhig welche nehmen.
»Tu das nicht. Nicht für mich. Aber ich hätte nichts gegen ein Päckchen einzuwenden, wenn du demnächst in die Stadt fährst.« Er zog eine abgegriffene Brieftasche aus seiner Hosentasche. »Ich habe Geld. Genug für ein Päckchen jedenfalls.«
»Darfst du eine Brieftasche haben?«
Nach den Heimvorschriften mussten die Jungen bei ihrer Ankunft alle persönlichen Gegenstände abgeben. Die Koffer wurden ihnen sofort abgenommen und Klamotten, Bücher und alles andere durchsucht. Aldís war oft dabei gewesen und hatte gesehen, wie schwer es ihnen fiel, das Einzige, was sie mit ihrer Familie und ihrem früheren Leben verband, herzugeben. Wobei das durchaus Sinn hatte, denn den Jungen war zuzutrauen, dass sie Dinge hereinschmuggelten, Schnaps, Pornohefte oder anderes, was sie auf dem Hof nicht bekamen. Aldís war sich ziemlich sicher, dass Lilja und Veigar ihnen nicht erlaubten, das Geld, das sie bei sich hatten, zu behalten. Sie konnten sich zwar nichts kaufen, aber möglicherweise heimlich telefonieren, ein Taxi anrufen und abhauen. Oder einen anderen Jungen für etwas Verbotenes bezahlen, zum Beispiel Dinge aus der Vorratskammer zu klauen. Aldís wusste, dass der geringe Lohn, den die Jungen bei Aushilfsjobs in der Fischfabrik bekamen, bei Veigar
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