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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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mehr herauskam und das sich langsam, aber sicher mit Lehm füllte, der über die Ränder quoll. Und dann war auch noch irgendetwas Widerwärtiges mit ihr da unten gewesen. Immerhin war sie kurz eingeschlummert, hatte aber keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Wahrscheinlich länger als angenommen. So war es immer.
    Aldís drehte das heiße Wasser auf, um sich die Hände zu waschen, und während der Strahl warm wurde, nahm sie sich zusammen und blickte in den Spiegel. In dem Dunst, der am Glas hinaufkroch, sah sie aus, als hätte sie einen roten Streifen auf der Wange, genau an der Stelle, wo ihre Mutter sie geohrfeigt hatte. Aldís wollte den Spiegel nicht abwischen und legte die Hand auf ihre Wange, die heiß war und brannte.
    Plötzlich klopfte es energisch an der Badezimmertür.
    »Es gibt noch mehr Leute, die aufs Klo müssen!«
    Eilig suchte Aldís ihre Sachen zusammen und ging aus dem Bad. Malli lehnte an der Wand und musterte sie von oben bis unten. Am liebsten hätte sie ihn angefahren, aber sie beherrschte sich. Schließlich war er nicht schuld daran, wie sie sich fühlte. Außerdem wollte sie nicht schon früh morgens wegen einer Lappalie einen dummen Streit vom Zaun reißen. Als sie sich in ihrem Zimmer die Schuhe zugebunden und die Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, fühlte sie sich etwas besser. Irgendwie musste sie durchhalten, und das Beste war, nicht ständig daran zu denken, wie viele Stunden sie schon hinter sich hatte und wie viele noch vor sich. Wenn die Hälfte des Arbeitstags vorbei wäre und ein Ende in Sicht, würde sich ihre Laune schon bessern. Das wusste sie aus Erfahrung. Außerdem sollte sie sich schonen, da sie morgen freihatte und einen Ausflug in die Stadt machen würde – wie auch immer sie dahin käme, zur Not würde sie auch laufen. Sie brauchte dringend ein paar Sachen, und vielleicht linderte es die seelische Qual, sich etwas Schönes zu kaufen.
    Der Gedanke an die Einkaufstour munterte Aldís auf. Sie ging zur Tür und stieß auf der Schwelle mit Tobbi zusammen, der mit der Nase an der Tür klebte, als sie sie aufmachte. Normalerweise wirkte er nicht sonderlich bedrohlich, aber diesmal erschrak sie.
    »Was machst du denn hier, du Blödmann? Kannst du nicht anklopfen?«
    Aldís war sonst nicht so streng mit den Jüngeren, konnte sich aber nicht beherrschen. Ihr Herz klopfte, und Adrenalin jagte durch ihren Körper. Sie war immer noch total sauer auf den Jungen, weil er nicht die Wahrheit über die Vorfälle im Speiseraum gesagt hatte.
    »Entschuldige, ich wollte gerade anklopfen, da hast du die Tür aufgemacht«, sagte Tobbi, ließ beschämt den Kopf hängen und starrte auf seine Füße. Seine Frisur war herausgewachsen, und die schwarzen Ponysträhnen hingen ihm in die Stirn und in die Augen. Normalerweise schnitt Lilja den Jungen regelmäßig die Haare, aber in letzter Zeit hatte sie das vernachlässigt, und viele sahen ziemlich verwahrlost aus.
    »Bist du hier, weil du dich bei mir entschuldigen willst? Glaub bloß nicht, dass du so leicht davonkommst! Deine Entschuldigungen sind mir nämlich scheißegal. Wenn du was wiedergutmachen willst, dann erzähl Lilja und Veigar gefälligst, wie es wirklich war.«
    Aldís verschränkte die Arme, um nicht in Versuchung zu geraten, den Jungen zu packen und zu zwingen, ihr ins Gesicht zu schauen.
    »Deshalb bin ich nicht hier«, nuschelte er, als hätte er den ganzen Mund voll Kaugummi. Was durchaus möglich war. Seine Oma schickte ihm regelmäßig kleine Päckchen mit Süßigkeiten, und da Tobbi die Aufgabe hatte, die Post zu holen, schaffte er es meistens, die Päckchen abzuzweigen. Ein guter Lohn für diese Gefälligkeit, auch wenn er den ganzen Weg bis zur Straße laufen musste, wo die Post auf einem alten Milchkannengestell abgelegt wurde. Normalerweise beschlagnahmten Veigar und Lilja sämtliche Süßigkeiten und tönten, Süßes käme ihnen nicht ins Haus. Aldís hatte gesehen, wie Lilja Süßigkeiten, die mit der Post gekommen waren, an die Schweine verfüttert hatte, und ihres Wissens gab sie den Jungen noch nicht einmal Bescheid, wenn ein Päckchen für sie gekommen war. Was war wohl schlimmer: ihnen die Päckchen vorzuenthalten oder sie glauben zu lassen, dass niemand an sie dachte? Aldís hatte schon oft darüber nachgedacht, es den Jungen zu erzählen, es aber doch nie getan. Sie fürchtete sich sowohl vor den Konsequenzen für sich selbst als auch davor, dass es einen richtigen Aufstand

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