Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
jedenfalls reichten sonst nicht viele Projekte der Behörde bis in die siebziger Jahre zurück. Wahrscheinlich hatte Róberta hier gesessen und über etwas nachgedacht oder versucht, sich etwas zu vergegenwärtigen.
»Noch eine andere Frage.«
Óðinn drehte sich von dem Board weg und konzentrierte sich wieder auf das Telefonat. Er hatte später noch genug Zeit, sich mit den Daten zu beschäftigen.
»Ich kenne ja keine Details über den Tod von Rúns Mutter, aber gab es zufällig einen Verdacht, dass es sich nicht um einen Unfall handelte?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Óðinn klang abweisender als beabsichtigt. Jetzt war Nannas Interesse erst recht geweckt. Er war selbst hin- und hergerissen: An einem Tag war er davon überzeugt, dass Lára an einem Unfall gestorben war, am nächsten, dass jemand sie gestoßen hatte. Manchmal wechselte er mehrmals am Tag seine Meinung. Er hatte sogar Erkundigungen über Logi Árnason eingeholt, den er am ehesten verdächtigte, aber der war kurz vor dem Unfall ins Ausland gezogen. Dennoch war er sich manchmal sicher, dass es kein Unfall gewesen war, ohne zu wissen, wer der Täter hätte sein können. Vor allem, seit Lára in seinen Träumen erschien, quälte ihn dieser Gedanke.
»Ich kann dazu nicht viel sagen, habe nur darüber nachgedacht. Ich hatte den Eindruck, aus einigen Dingen, die Rún gesagt hat, herauszuhören, dass sie dieser Meinung ist. Aber das muss nichts bedeuten, vielleicht hat sie es sich nur ausgedacht. Wie gesagt, die Leute können sich oft nur schwer mit Unfällen abfinden.«
»Die Polizei hat es als tragisches Unglück angesehen, und soweit ich weiß, hat sich daran nichts geändert«, sagte Óðinn und tastete nach der Jalousiestange. Er musste etwas Greifbares, Simples in den Händen halten. »Ich weiß, dass Sie mir nicht erzählen wollen, was Rún Ihnen anvertraut hat, aber können Sie mir vielleicht trotzdem sagen, ob sie dabei eine bestimmte Person im Kopf hatte?«
»Meines Wissens nicht, sie hat es ja nicht unumwunden gesagt.« Nanna hielt kurz inne. »Schläft Rún schlecht? Hat sie oft Albträume?«
»Ja, aber ich weiß nicht, was diesbezüglich als normal gilt. Doch, sie wälzt sich nachts oft im Bett herum und hat manchmal Albträume«, antwortete Óðinn.
Wieder war er schockiert, wie wenig er über Kindererziehung wusste. Vielleicht wäre es für Rún das Beste gewesen, wenn sie zu Adoptiveltern gekommen wäre, die sich ein Kind wünschten und sich mit so etwas auskannten. Wobei das natürlich abwegig war. Ein Paar, das sich ein Kind wünschte, war höchstwahrscheinlich kinderlos und wusste noch weniger über die kindliche Entwicklung als er.
»Sie hat durchblicken lassen, dass ihre Mutter umhergeistert, um sich an denen zu rächen, die ihr das angetan haben. Das klingt natürlich albern, aber es macht ihr zu schaffen. Angst vor Geistern kann einem Kind das Leben zur Hölle machen.« Nanna verstummte, sprach dann aber weiter und klang nun viel einfühlsamer: »Ich habe Rún so verstanden, dass ihre Mutter es auf Sie abgesehen hat. Vielleicht wegen der Scheidung, es kann ja kaum wegen des Unfalls sein.«
»Nein, kaum.« Óðinns Mund wurde plötzlich ganz trocken.
Nanna schien zu merken, wie bestürzt er war, zumindest änderte sie ihre Taktik ein wenig und sagte:
»Die wahrscheinlichste Erklärung für die ganze Sache liegt eigentlich auf der Hand. Sie haben doch selbst erwähnt, dass Sie Dinge hören, die keinen realen Bezug haben. Kann es sein, dass Rún das mitbekommen hat, merkwürdige Verhaltensweisen an Ihnen wahrgenommen hat oder so, Sie vielleicht sogar darüber reden gehört hat? Das könnte der Auslöser für solche Gedanken sein.«
»Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Ich habe sie in keiner Weise damit behelligt«, entgegnete Óðinn.
Er war zwar vielleicht ein unerfahrener Vater, aber kein Idiot. Doch er hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als er merkte, dass die Sache vielleicht doch nicht so einfach war. Natürlich musste Rún etwas ahnen, zum Beispiel, als er sie mit ins Büro genommen hatte, ohne ihr richtig zu erklären, warum sie nicht alleine zu Hause sein sollte. Und es war durchaus denkbar, dass sie gesehen hatte, wie er sich vor irgendetwas erschreckte.
»Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Sie müssen nichts sagen. Jedenfalls nicht zu mir. Versuchen Sie nur, es Rún möglichst nicht merken zu lassen, wenn es Ihnen schlechtgeht. Ich weiß, dass Ihnen bewusst ist, dass das alles nicht
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