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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Mutter schlummern wie ein Kind, inmitten wirbelnder Schneeflocken, die wie gute Geister auf sie achtgaben, während ihr Atem ruhiger und gleichmäßiger wurde und sie, frei und doch beschützt, immer mehr in die andere Welt eintrat.
    Die Welt jenseits der Mauer des Schlafes.
    Die Welt der Träume.
    Die Welt der Toten.

Epilog
    Don Tomasso Tremonte genoss die Stille, die an diesem Morgen über der Via Conciliazione in Rom lag, bevor die Touristen und Pilger die Straßen stürmen würden. Bedächtig blies er in seinen Espresso, der dampfend vor ihm auf dem Tisch stand. Auf seinen Knien ruhte ein Koffer aus hellem Ziegenleder, dessen Messingscharniere sich mit leisem Schnappen öffneten.
    Sein Blick schweifte über die Stadt und die aufgehende Sonne, um die herum Wolken schwebten wie mit Gold bemalte Watte; ein Anblick wie auf einem Gemälde von Tiepolo. Über der Engelsburg wehte die Fahne des Heiligen Stuhls, und in einiger Entfernung erhob sich die Kuppel des Petersdoms, umrahmt von den Säulen Berninis und den Tausenden von Türmchen und Zinnen der Ewigen Stadt.
    Tomasso dachte an Alvaro de la Torrez, dessen verbrannte Leiche jetzt in der Rechtsmedizin lag. Don Alvaro hatte ihm alles beigebracht, was er über die Pläne des Bösen wissen musste. Ihm hatte er bei Hunderten von Exorzismen geholfen, mit ihm hatte er die Questura der italienischen Polizei beraten, wenn es um Ritualmorde und rituelle Opferungen ging.
    Doch am Ende hatte er festgestellt, dass Don Alvaro nicht die letzte Konsequenz gezogen hatte. Dass er seine Mission nicht zu Ende gedacht, nicht zu Ende gebracht hatte.
    Und wären die Ermittler auf ihn, Tomasso, aufmerksam geworden, hätten sie erkannt, dass Alvaro unschuldig war. Denn sie waren mit Fotos gekommen. Von denen, die eigentlich im Hintergrund bleiben sollten. Sie waren ganz nahe an der Wahrheit gewesen. Zu nahe.
    Deshalb war Alvaro ihm im Weg gewesen. Und deshalb hatte Tomasso seinen Lehrmeister töten müssen. Um seine heilige Mission zu retten. Und sich selbst.
    Er, Tomasso, hatte auch den vermeintlichen Abschiedsbrief geschrieben, weil er als Privatsekretär die Unterschrift des alten Exorzisten so gut fälschen konnte wie niemand sonst. Deshalb hatte er Alvaros Anwesen niederbrennen müssen, damit man nicht feststellen konnte, dass es gar kein Suizid des alten Mannes gewesen war, sondern dass er, Don Tomasso Tremonte, seinen Meister getötet hatte. Dass er ihn töten musste, um weiterzuführen, wozu Don Alvaro nicht in der Lage gewesen war. Weil Alvaro zu gnädig war. Weil er zu sehr an das Gute glaubte. Weil er am Ende zu naiv war.
    Den Abschiedsbrief Alvaros hatte Tomasso selbst geschrieben. Genau so, wie Alvaro einen solchen Brief formuliert hätte. Denn im Grunde hatte der alte Mann alles gewusst. Er hatte sogar das Motiv des Drachen durchschaut, das Tomasso dem Drachen diktiert hatte. Das Böse zu töten, um in der Hölle darüber zu herrschen.
    Doch Alvaro hatte es nicht zu Ende geführt. Er war zu milde gewesen, zu gnädig, vielleicht sogar zu schwach, was ihn dazu verleitet hatte, die Kraft und Gefahr des Bösen zu unterschätzen.
    Das, was Tomasso aus tiefster Seele hasste. Was er fürchtete. Was er tötete.
    Nicht nur Don Alvaro, auch Tomassos Gefolgsleute, die seine Mission ausführen sollten, waren tot. Der Drache hatte versagt. Er hatte diese deutsche Polizistin, Clara Vidalis, nicht töten können, wie es vereinbart gewesen war. Dabei hatte er ihren Aufenthaltsort gekannt. Denn Don Alvaro hatte mit dem deutschen Polizisten, den sie MacDeath nannten, telefoniert und erfahren, wo genau Clara Vidalis in Sicherheit gebracht werden sollte. Alvaro wiederum hatte es Tomasso anvertraut und die besorgte Frage angefügt: »Ob sie dort wirklich sicher ist?«
    Nun, von diesem Augenblick an war sie es nicht mehr gewesen, denn er, Tomasso, hatte umgehend den Drachen verständigt und auf Clara Vidalis angesetzt. Der Drache hatte alle Möglichkeiten gehabt, diese Frau zu beseitigen, doch er hatte kläglich versagt und die verdiente Strafe erhalten. Sollte er in der Hölle brennen.
    Und all die willenlosen Gehilfen des Drachen, die verschwunden und verdorrt waren wie die Glieder eines Leibes, dessen Kopf man abgeschlagen hatte, all die anderen verdammten Seelen, die nur noch den einen Sinn hatten, ihm bei der Austreibung des Bösen zu helfen, lebten ebenfalls nicht mehr.
    Aber er würde neue finden. Neue Handlanger. Und keinen Gedanken an die verschwenden, die auf seinem heiligen Kreuzzug

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