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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Mutter trank Metaxa. Die Flecken, die das Sonnenlicht ihr durch die Bäume auf Gesicht und Kleid warf, sahen hübsch aus; ein Impressionist hätte sie so malen können. Ihre beiden Kavaliere waren berühmte Schauspieler, die ihr unverschämt und mit beinahe lasziver Gockelhaftigkeit den Hof machten. Sie wussten, dass ihr beharrliches Werben zum Scheitern verurteilt war, doch das Leben war für sie ein einziges Theater, und jeder Moment Teil einer Szene. Der eine sah hässlich und dramatisch aus, der andere war hübsch wie ein Engelchen, doch beide waren tadellos sauber. Ihre Augen lagen im Schatten der Linde, ihre Leinensakkos leuchteten hell, ihre Fingerspitzen umspielten graziös die Stiele der Weingläser. Sie gaben sich romantisch-melancholisch, ergeben in die Unabänderlichkeit ihrer schauspielerischen Größe, von der die bewundernden Blicke der übrigen Gäste, die sich von allen Tischen nach ihnen umdrehten, ja auch Zeugnis ablegten. Der Glamour der drei Schauspieler am Tisch verursachte ihr solche Beklemmungen, dass sie aufpassen musste, sich nicht mit dem Eis zu bekleckern. An seinen Geschmack konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber es war tiefrot und klebrig gewesen. Sie starb vor Scham, dass sie als Einzige am Tisch so klein und unbedeutend war, und dann meldeten sich seit einigen Tagen auch dumpfe, lastende Krämpfe unterhalb des Bauchnabels, die ihr vorkamen wie etwas Bekanntes, das sich nur jetzt aus dem Unbewussten in Erinnerung brachte. Ihre Mutter versuchte, sie mit Hoffmannstropfen zu kurieren, von denen sie zusammen mit ein paar in eine Serviette gehüllten Stückchen Würfelzucker immer ein Fläschchen in ihrer Damenhandtasche mit sich führte.
    Â»Und wie geht’s dir, mein Mädchen«, fragte sie der hässlichere und darum unwiderstehlichere Verehrer, »tut dir das Bäuchlein weh?«
    Diese andauernden »-chens«, wenn er sie aus Höflichkeit auch mal ansprach, und die Nachlässigkeit in seiner Stimme fand sie erschreckend. Die ganze Dessislava war nun nichts als ein sehnsüchtiger Krampf, schnell groß zu werden.
    In diesem Moment der Anspannung hatte sie gespürt, wie etwas Feuchtes, Gärendes ihre Schenkel bekleckerte. Sie schämte sich so sehr, dass sie befürchtete: Wenn jetzt einer hersah, würde sie sofort in Tränen ausbrechen. Ihr Eis war inzwischen geschmolzen. Der Wind zerzauste eine Locke, die ihrer Mutter kunstvoll in die Stirn fiel. Sie sah einfach perfekt aus! Die Männer schauten sie verliebt und mit der Schläfrigkeit verwöhnter Haustiere an.
    Dessislava erhob sich vorsichtig von ihrem Stuhl und lief zur Toilette. Ein paar Tropfen schmutzigbraunen Bluts in ihrem Slip hatten sie zu einer Wunde auf zwei Beinen gemacht. Da endlich begann sie zu weinen. Sie verstand gar nichts, ihr war einfach nur schrecklich zumute. Sie ekelte sich vor sich selbst, fühlte sich beschmutzt, unwürdig, an den Tisch zurückzukehren zu diesen sauberen und erfolgreichen Leuten, und … lief aus dem Restaurant fort, fort von ihrer Mutter und am allermeisten vor sich selbst. Schluchzend lief sie die Straße entlang, kam fix und fertig zu Hause an, allein und mit dem Vorgefühl des hereinbrechenden Abends.
    Â»Jetzt bist du eine Frau«, umarmte Jonka sie tröstend. »Die Männer ziehen in den Krieg, töten und werden getötet; aber sie vergießen doch nicht so viel Blut wie die Frauen, um die Menschheit zu erhalten und zu vermehren. Sei glücklich, mein Kind, denn nun hat die Ewigkeit dich aufgenommen!«
    Alles schön und gut, nur dass Dessislava eben nicht Frau wurde. Noch jetzt spürte sie die weiße Schleife im Haar. Überrumpelt und gedemütigt von dem unreinen Blut, verpuppte sich der Märchenschmetterling zusehends. Oft träumte sie von diesem Moment ihrer Schande, das bauschige Kleidchen um ihre Schenkel ließ sie auffahren, und unwillkürlich zog sie sich das Nachthemd über die Knie. Die Scham steigerte sich manchmal zum Fieber, dann stöhnte sie vor Pein. In ihrer Schlaftrunkenheit wurde sie klein und immer kleiner, kehrte zu ihrer Großmutter zurück. Aber Jonka war nicht mehr da. Und wenn ein Mensch lang und unwiderruflich abwesend ist, vollendet sich sein Bild in unserer Vorstellung. Ja, Jonka hatte diese kranke und unansehnliche Welt verlassen, in der wir leiden und uns schämen dafür, dass wir Menschen werden müssen irgendwo zwischen

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