Seelenasche
bist so gar nicht dafür geschaffen.«
»Ich werdâ schon irgendwie zurechtkommen. AuÃerdem heiÃt Scheidung ja nicht, dass wir keine Freunde bleiben.«
»Da täuschst du dich aber gewaltig«, fiel ihr ihre Mutter ins Wort, »wenn ich mich wirklich von deinem Vater hätte scheiden lassen, hätte ich begonnen, ihn zu hassen!«
»Nun übertreib mal nicht«, lachte Dessislava nervös, »Freundschaft heiÃt doch bloÃ, Vertrauen zu jemandem zu haben, mit jemandem reden können, Seelenverwandtschaft.«
»Oh, wenn das mal alles wäre«, korrigierte ihre Mutter sichtlich verärgert, »Freundschaft braucht auch treue Gefolgschaft, selbst wenn man mal nicht einverstanden ist!«
Wieder gingen ihnen die Worte aus. Wie sie es auch drehten und wendeten, die Sache wurde nicht besser, sie fanden nicht aus ihrer seelischen Beklemmung heraus. Ihre Mutter döste ein, sie war wohl auch erschöpft von ihren ständigen geheuchelten Versuchen, ihrer Tochter zu widersprechen, nur um deren Eigensinn zu brechen und sie so vor der Einsamkeit, den Härten des Lebens und dem Fehlen dessen zu bewahren, was sie selbst unablässig brauchte: Bewunderung.
»Sim ist einfach nicht der Mann, von dem ich Kinder haben möchte«, sagte Dessislava wie erstarrt vor Angst und Beklemmung, »verstehst du? So viel Lüge könnte ich einfach nicht ertragen!«
Emilia kam zu sich und murmelte: »Weià Simeon eigentlich schon, dass ihr euch scheiden lasst?«
»Nein«, antwortete Dessislava und konnte endlich weinen, »das weià nur ich, verdammt, immer nur ich!«
16
Die kleine Bar in der hauptstädtischen Komödie war kaum zur Hälfte gefüllt. Die verschiedenfarbigen Glühbirnen mischten sich zu einem gedämpften, neurasthenischen Licht. Zusammen mit dem Muff abgestandenen Zigarettenrauchs, dem Theaterchaos und dem Alkohol konnte man meinen, in einem Puff gelandet zu sein. Die geringen AusmaÃe des Raums, zu dem man über eine schmale, steile Treppe hinabgelangte, schufen eine erzwungene Nähe und Intimität, zu der auch der Geruch nach Schwüle, Schimmel und Pappmachékulissen beitrug. Der Barkeeper war neu; er schaute noch unsicher und zerstreut durch die Gegend. Aus den Lautsprecherboxen wummerte The Wall von Pink Floyd und machte mit seinem breitflächigen, aber intensiven Sound den Raum noch kleiner, die Luft noch drückender.
Dessislava nippte an ihrem Anisschnaps, eigentlich einem Sommergetränk, das sie inzwischen aber schon deshalb auch an diesem Winterabend bevorzugte, weil es so billig war. Man konnte die Spirituose auÃerdem nach Belieben mit eiskaltem Wasser verlängern, und dann wölkten dichte Nebelwolken durch das lange schmale Glas, was ihm etwas Mondän-Aristokratisches gab. Simeon machte mit seinem groÃen Wodka weniger Federlesens, kippte ihn herunter und ging zur Bar, um sich noch einen zu holen. Die Vorstellung von Tennessee Williamsâ Endstation Sehnsucht war gut verlaufen, Simeon selbst in seiner Rolle groÃartig gewesen, aber im Parkett hatten sich gerade einmal fünfzig Zuschauer verloren, von denen die Hälfte noch â wie Dessislava â mit Gratistickets hereingekommen waren.
»Mir ist kalt, ununterbrochen kalt«, sagte sie und machte eine fröstelnde Geste.
»Kein Wunder, die Saalbeheizung ist ja auch aus. Kein Geld für die Heizkosten da.«
»Ich mein doch nicht dieses âºkaltâ¹, sondern â¦Â«
»Ich hab dem Verwaltungsdirektor vorgeschlagen, Decken auszugeben«, fuhr Simeon unbeirrt fort und nickte beiläufig einer ihr unbekannten Grazie zu, »oder auf die Eintrittskarten zu drucken: âºKommen Sie an Wintertagen in Thermojacken und gefütterten Stiefeln.â¹Â«
»Schlau«, stimmte ihm Dessislava zu, »aber mir ist trotzdem kalt.«
»Na, dann gehen wir halt.«
»Nein, ich wollte einfach mit dir reden, dir etwas Wichtiges sagen.«
»Das können wir besser zu Hause. Ich wärm das Bett an, und du kriechst dazu und erzählst mir alles.«
»Zu Hause ist mir ja nicht kalt, aber da hab ich Angst. Hier ist mir zwar kalt, aber dafür bin ich kühn und tapfer. Feix nicht so! Ich mein das ernst: Hier bin ich mutig!«
Zwei Tische entfernt von ihnen saà Pepa Koitscheva mit zwei Kavalieren, die jeden Quadratzentimeter von ihr genüsslich mit Augen abweideten. Der eine war ein bekannter
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