Seelenband
beinah straucheln. Anscheinend dachte sie an ihn und es waren keine netten Gedanken, die sie beschäftigten. John zögerte, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger würde es werden, sich zu entschuldigen. Obwohl ihr Ärger ihn ein wenig einschüchterte, freute er sich auch darüber. Wenn er ihr völlig gleichgültig gewesen wäre, wäre sie wohl kaum so aufgebracht.
Er war ganz außer Atem, als er das Haus erreichte, in dem sie wohnte. Er blieb vor der Tür stehen und suchte die Klingelschilder nach ihrem Namen ab. Dann zögerte er plötzlich. Was, wenn sie ihn gar nicht erst einließ?
Er sah sich suchend um, doch weit und breit war niemand zu sehen und er hatte keine Zeit darauf zu warten, dass ein anderer Hausbewohner zufällig hinein- oder hinausging. John atmete tief durch und drückte den Klingelknopf.
"Hallo?" ertönte kurze Zeit später Valeries überraschte Stimme aus der Gegensprechanlage.
"Hier ist John", meldete er sich. "Die späte Störung tut mir leid, aber kann ich vielleicht reinkommen?"
"Bist du krank?" fragte sie kurz.
"Nein", erwiderte er erstaunt.
"Verletzt oder sterbend?" Jetzt klang sie sarkastisch.
"Weder, noch", sagte er vorsichtig. Sie war wirklich verärgert.
"Was willst du dann hier?"
"Mit dir reden."
Sie schwieg.
"Und mich entschuldigen", fügte er hinzu.
"Wofür denn entschuldigen?" fragte sie abweisend. "Du schuldest mir doch keine Rechenschaft."
"Können wir das bitte von Angesicht zu Angesicht besprechen?" bat John.
"Also gut." Sie legte auf und der Türbuzzer summte.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, drückte John schnell die Tür auf und rannte die Treppe hinauf.
Sie erwartete ihn oben in der halbgeöffneten Tür. Sie trug einen Morgenmantel, hatte die Hände vor der Brust verschränkt und sah nicht so aus, als würde sie ihn hereinbitten wollen. "Was gibt's?"
"Wieso bist du so wütend?" fragte John zurück.
Valerie stutzte, fasste sich aber schnell. "Wofür willst du dich denn entschuldigen?"
Er sah sie nachdenklich an und versuchte zu erspüren, weshalb sie tatsächlich wütend war. Er kam jedoch nicht weit. "Dafür, dass ich die letzten paar Tage nicht da gewesen bin?" versuchte John es zögerlich.
Valerie schnaubte. "Nein, dafür, dass du nicht Bescheid gesagt hast." Sie seufzte und ließ ihre Arme sinken. Auf einmal wirkte sie sehr erschöpft. "Ich werde einfach nicht schlau aus dir und das ist wirklich anstrengend. Ich habe keine Lust mehr darauf. Du gehst mit mir essen, dann brichst du den Kontakt ab. Dann kommst du wieder, weil du Hilfe brauchst. Ich habe das Gefühl, wir werden Freunde. Dann gehst du mir ohne jede Erklärung aus dem Weg. Ich mache mir Sorgen und es endet wieder damit, dass ich dir helfe. Dann gehst du mit mir zu der Party und bist ganz anders als je zuvor. Ich habe das Gefühl, dass es für uns beide ein schöner Abend war und dass wir wirklich Freunde sind. Dann verschwindest du wieder ohne Vorankündigung für mehrere Tage, meldest dich nicht bei mir. Ich mache mir Sorgen, ob es dir wieder so schlecht geht. Aber nein, du gehst arbeiten, meldest dich bei allen, nur nicht bei mir. Also denke ich, dass ich mich doch geirrt habe und wir anscheinend keine Freunde sind. Und plötzlich stehst du vor meiner Tür, mitten in der Nacht, und willst dich entschuldigen, ohne zu wissen, wofür." Sie sah ihn müde an.
John schluckte. So, wie sie es darstellte, schien er sich wirklich sehr egoistisch benommen zu haben. "Es tut mir wirklich leid", flüsterte er und sah sie eindringlich an. Dass es ein Fehler war, merkte er erst, als Valerie erstaunt die Luft einsog.
"Deine Augen", murmelte sie überrascht. "Dieses Mal bilde ich es mir ganz bestimmt nicht ein."
Es war ihr also schon vorher aufgefallen, dachte John erstaunt. Schnell senkte er den Blick. "Neue Kontaktlinsen", erklärte er rasch.
Sie wirkte nicht überzeugt. "Ist auch egal", murmelte sie jedoch schließlich. Dann sah sie ihn forschend an. "Du hast dich entschuldigt und was jetzt?"
"Ich hatte gehofft, wir können wieder Freunde sein."
Sie schnaubte. "Bis es dir erneut einfällt, dass wir nicht befreundet sein sollten, oder dass du mich vor was auch immer schonen möchtest, oder einfach wieder Lust bekommst, allein zu sein? So läuft das nicht."
"Wie dann?" fragte er sanft.
Sie sah ihn prüfend an. "Es ist dir wirklich ernst damit, oder?"
"Ja."
"Also gut." Valerie dachte kurz nach. "Wenn wir Freunde sein sollen, dann müssen wir offen miteinander reden." John
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