Seelenband
wohin auch immer wir fahren."
"Können wir das irgendwie verhindern?"
"Je älter die Spur wird, desto schwieriger wird es, sie aufzuspüren. Und wo viele Menschen verkehren, ist es schwieriger, weil sie die Spur verwischen. Wenn wir zum Beispiel dein Auto nehmen, würde es ziemlich einfach sein, uns zu folgen, wenn wir aber ..."
"Mit der Bahn fahren", vollendete Valerie seinen Satz, "können sie dich kaum aufspüren, oder?"
"Nein. Auf dem Bahnhof würde sich die Spur verlieren und so gut wie unauffindbar werden."
"Dann machen wir das so", sagte Valerie und griff nach dem Telefon.
"Was hast du vor?"
"Ich rufe meine Chefin an und sage ihr, dass ich für ein paar Tage nach Florida fliege. Als Tarnung", fügte sie erklärend hinzu. "Immerhin habe ich ja Urlaub und sollte mich ein wenig erholen." Während sie die Nummer wählte, sah Valerie John ermutigend an. "Du solltest lieber ein Paar Sachen für Nalla und dich zusammenpacken." Dann erst fiel ihr Blick auf das kleine Mädchen, das sich verschüchtert an den Türrahmen drückte und dem erhitzten Gespräch der Erwachsenen ängstlich zugehört hatte.
John ging zu seiner Tochter herüber und nahm sie auf den Arm. Er drückte sie an sich und flüsterte ihr etwas beruhigend zu. Dann setzte er sie wieder ab und die Kleine lief in ihr Zimmer.
Wie erwartet hatte Valerie keine Schwierigkeiten damit, noch ein paar Tage länger Urlaub zu nehmen. Ihre Chefin Elise wünschte ihr viel Spaß und gab ihr die nächste Woche komplett frei.
Dann packte Valerie rasch ihre Reisetasche zusammen und ging zu John und Nalla herüber, die bereits im Wohnzimmer auf sie warteten. Das Mädchen sah die Erwachsenen mit großen Augen an und Valerie konnte sich gut vorstellen, wie ihre und Johns Anspannung das Kind ängstigen musste.
"Sollen wir los?" fragte Valerie und sah sich unsicher um. Sie hatte sich nie träumen lassen, dass sie ihr Zuhause eines Tages Hals über Kopf fliehend verlassen würde. Vor wenigen Tagen noch hatte sie sogar der Gedanke, die Wohnung aufzugeben und zu John zu ziehen, irritiert. Und nun das. So etwas passierte einfach nicht in der realen Welt. Sie blickte auf Nalla und John, die ruhig und gefasst da saßen, und riss sich zusammen. So schmerzhaft und unwirklich ihr das alles auch vorkommen mochte, die Alternative war einfach undenkbar. Sie konnte sich ihr Leben ohne die beiden nicht mehr vorstellen. Und sie wollte es auch gar nicht.
John, der anscheinend nur darauf gewartet hatte, dass sie endgültig ihre Entscheidung traf, erhob sich und nahm sie tröstend in die Arme. "Wir schaffen das schon, Pei Thara", flüsterte er. "Ich weiß zwar noch nicht genau wie, aber wir werden einen Weg finden."
Valerie schmiegte sich dankbar an ihn und bemühte sich um ein tapferes Lächeln.
"Wir sollten uns aufteilen", sagte John leise.
"Aufteilen?" Valerie wich überrascht zurück.
"Ja, dann wird die Spur noch schwieriger zu verfolgen sein. Nalla und ich werden ein wenig mit den Bussen umher fahren und du könntest vielleicht die U-Bahn nehmen. Am Bahnhof würden wir uns dann wieder treffen." Er sah sie fragend an und sie nickte widerstrebend.
"Wenn du das für erforderlich hältst."
"Ja, es ist wirklich besser so. Und nimm nicht den direkten Weg zum Bahnhof, fahr ein wenig herum."
"Ok." Valerie sah ihn an und hatte auf einmal ein ganz mulmiges Gefühl. Stürmisch presste sie sich an ihn und vergrub ihr Gesicht in seinem Hals. "Ich liebe dich!" presste sie hervor. "Passt ja gut auf euch auf!"
"Es wird alles gut", John streichelte ihr beruhigend über den Rücken. "In zwei Stunden treffen wir uns am Bahnhof in der Haupthalle vor der großen Fahrplananzeige. Und", John hob ihr Gesicht sanft zu sich hoch, "wir lieben dich auch."
Valerie nickte und beugte sich zu Nalla herunter, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. "Bis bald", sagte sie, als sie sich aufrichtete, und schulterte ihre Reisetasche. Dann nahm sie ihre Jacke vom Haken und verließ rasch und ohne sich umzublicken die Wohnung.
Es wurden die zwei längsten Stunden ihres Lebens. Obwohl sie mehrmals umgestiegen und gut eine halbe Stunde ziellos umhergefahren war, bevor sie sich auf den Weg zum Bahnhof machte, kam Valerie viel zu früh an. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und seufzte. John und Nalla sollten erst in einer Stunde hier eintreffen. Um die Zeit zu überbrücken, studierte sie an einem Terminal den Fahrplan und suchte nach der besten Verbindung. Sie war noch nie mit dem Zug zu ihren Eltern gefahren und war erstaunt, wie
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