Seelenband
Gesicht. In seinen Augen las sie eine so überwältigende Liebe und eine so tiefe Traurigkeit, dass sie schlucken musste. Tränen traten ihr in die Augen, als sie erkannte, dass John nicht an eine gemeinsame Zukunft für sie drei glaubte. Er glaubte nicht daran, dass sie würden entkommen können.
"Schht, nicht weinen", sagte er sanft und strich den salzigen Tropfen weg, der über ihre Wange lief. "Das, jetzt und hier, ist ein perfekter Augenblick. Es gibt nichts, worüber du weinen solltest."
"Du sammelst diese Augenblicke, nicht wahr?" flüsterte Valerie leise. "Weil du weißt, dass wir nicht mehr viele davon haben werden." Es war keine Frage.
John schwieg betroffen.
"Können wir denn gar nichts tun?" fragte sie verzweifelt.
John küsste ihre Stirn. "Ich weiß es nicht", sagte er vorsichtig. "Ich weiß nicht, wann und wie das alles endet." Er sah sie ruhig an. "Aber das weiß man im Leben nie. Alles, was ich weiß, ist, dass, was auch immer die Zukunft uns bringen mag, ich keinen einzigen Augenblick der Gegenwart vergeuden möchte. Dazu ist die Gegenwart zu kostbar und ich würde es mir nie verzeihen, auch nur eine einzige Sekunde davon mit dir und Nalla nicht voll ausgekostet zu haben.
"Aber ich kann nicht nicht an die Zukunft denken", beharrte Valerie. "Allein bei dem Gedanken daran, dass ich dich verlieren könnte ..." Ihre Stimme versagte.
"Dann denk nicht daran", sagte John leise. "Lass uns diesen kostbaren Augenblick nicht mit der Angst vor der Zukunft verderben, auf die wir keinen Einfluss haben."
"Natürlich haben wir Einfluss!" widersprach Valerie entschieden. "Wir könnten wieder fort gehen, weiter weg dieses Mal."
"Nein." John schüttelte sanft, aber entschieden den Kopf. "Wir sollten bleiben. Wenn sie uns hier nicht finden, sind wir sicher. Und wenn doch, hat eine weitere Flucht ohnehin keinen Sinn. Denn sie würden uns überall hin folgen."
"Glaubst du wirklich, dass wir hier in Sicherheit sein könnten?" fragte Valerie hoffnungsvoll.
John lächelte. "Ja, das glaube ich."
Kapitel 11
Valerie wachte auf, als die Eingangstür ins Schloss fiel. Schläfrig öffnete sie ein Auge und griff nach der Uhr, die neben ihrem Bett stand. Es war erst sieben. Erleichtert stellte sie die Uhr wieder hin. Ihre Eltern waren zur Arbeit gegangen, aber John und sie konnten noch so lange im Bett bleiben, bis Nalla sie herausholte. Valerie kuschelte sich enger an John heran und schloss zufrieden die Augen.
Viel Ruhe war ihr aber nicht vergönnt, denn schon zu bald wurde die Schlafzimmertür mit einem leisen Quietschen geöffnet und Nalla tappte herein. Seufzend hob Valerie sie in das Bett, so dass das Mädchen zwischen ihr und John lag, doch auf dem schmalen Bett war es wirklich viel zu eng für drei Personen. Nalla begann, sich unruhig hin und her zu winden, und schließlich gaben Valerie und John den Versuch auf, liegen zu bleiben.
Sie verbrachten den Tag wieder damit, mit dem Mädchen zu spielen. Doch irgendwie wirkte die Kleine nicht zufrieden. Valerie wunderte sich, denn so übellaunig und quengelig hatte sie das ansonsten stets so mustergültige Kind bisher nicht erlebt. John schien es jedoch nicht aufzufallen und wenn doch, so störte es ihn anscheinend nicht.
"Ich will zum Teich!" verkündete Nalla nach dem Mittagessen in dem fordernden Ton, den sie schon den ganzen Tag benutzte.
"Das geht jetzt aber nicht", widersprach Valerie, die endlich ein paar Grenzen setzen wollte, entschieden. Sie wohnten nun schon seit einigen Tagen bei ihren Eltern und Valerie wollte sich dafür revanchieren, in dem sie ein wenig sauber machte. Außerdem hatte Nalla an diesem Tag einiges durcheinander gebracht. Und Valerie musste das auch noch aufräumen, bevor ihre Eltern nach Hause kamen.
"Wieso?" verlangte Nalla zu wissen.
"Weil ich zu tun habe", erklärte Valerie gezwungen.
"Ich will aber!" Trotzig sah Nalla ihren Vater an.
"Das geht jetzt nicht", unterstützte er Valerie.
Nalla sah ihn an, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
"Was ist denn bloß los mit ihr?" fragte Valerie besorgt.
"Ich weiß es nicht." John zuckte hilflos mit den Schultern. Auch er wirkte irgendwie angespannt. Unbewusst strich er sich mit den Fingern über die Stirn, als ob er einen Kopfschmerz vertreiben wollte.
"Fehlt dir etwas?" fragte Valerie.
"Nein." Er schien zu lauschen. "Es geht mir gut."
"Und was ist mit Nalla?"
"Irgendetwas bedrückt sie, macht sie unruhig. Aber ich weiß nicht, was es ist." Er sah Valerie entschuldigend an. "Vielleicht würde ein
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