Seelenbrand (German Edition)
nur diesen Kopf entgegenzuhalten.«
Sie schwieg einen Augenblick, und sie beide spürten, wie ihre Worte einen tausendfachen Widerhall in den Grabgewölben fanden.
»Unter der Folter haben mindestens zwei Ritter zugegeben, von dieser verfluchten Zauberei gehört zu haben!« fuhr sie leise fort. »Und?« Sie sah ihn lange und durchdringend an. »Glauben Sie die Geschichte?«
»Also ich ...« Er suchte nach den richtigen Worten. »Bis gerade habe ich noch an die frommen Männer in ihren weißen, wehenden Umhängen geglaubt, die vielleicht ein bißchen gewalttätig waren ... aber so etwas ...«
Marie nickte. »Ich sage Ihnen, ich befasse mich jetzt schon so lange mit diesen Dingen und weiß selbst nicht mehr, was ich glauben soll. Diese unheimliche Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, daß Sie hier in Rennes Wahrheit und Lüge nur schwer auseinanderhalten können. Ist der Gral tatsächlich hier verborgen, oder nicht!? ... Die Schätze Salomons? ... Sind die guten Ritter die Guten, oder die Bösen? Ist Ihre Kirche da oben«, sie deutete mit dem Finger an die Decke, »auch wirklich der Eingang zum Himmel ... oder der Abstieg zur Hölle?« Sie schüttelte ihren Kopf und atmete tief durch. »Seit Jahren versuche ich vergeblich herauszufinden, was hier los ist.«
Sie war aufgestanden und hatte sich gedankenversunken einige Schritte entfernt. Die Lampe flackerte, als sie plötzlich einen gellenden Schrei ausstieß.
»Hilfe! Abbé! Hilfe!« schrie sie immer wieder.
Pierre war aufgesprungen und sofort in ihre Richtung gerannt. Aber sie war weg! Er blieb stehen und hielt die Laterne in jede Ecke. »Wo sind Sie, Marie?« Seine Stimme überschlug sich.
»Hier! Helfen Sie mir! Schnell!«
Panisch lief er mit seiner Laterne um einige der steinernen Särge herum, die ihm die Sicht nahmen.
»Hier! Hier unten bin ich!« Ihrer Stimme nach konnte sie nicht mehr weit weg sein, er machte einen Schritt nach vorn ... als der Boden unter seinen Füßen plötzlich nachgab. Reflexartig ließ er sich nach hinten auf den Rücken fallen und entging so, wie die Laterne jetzt im flackernden Schein verriet, einer Grube, die unsichtbar im Schatten zweier Sarkophage lag.
»Hilfe!« rief sie wieder.
Hastig griff er sich die Lampe und hielt sie über das Loch. Jetzt erst sah er ihre Hände am oberen Grubenrand. Sie hatte sich glücklicherweise dort festgeklammert.
»Machen Sie schnell! Ich kann mich nicht mehr halten!« schrie sie immer wieder.
Sofort griff er nach ihren Händen. »Keine Angst, gleich hab’ ich Sie!« Er warf sich bäuchlings in den Sand vor der Grube und faßte ihre Handgelenke. Mit Leibeskräften zog er an ihren Armen, während ihn der lose Sand ebenfalls in die Grube zu spülen versuchte. Er biß die Zähne zusammen und zog. Er konnte dieses liebreizende Wesen doch nicht hier unten zwischen den vermoderndenToten in einer Grube enden lassen. Maries Oberkörper erschien bereits am Rand des Lochs. »Na, kommen Sie!« schrie er. »Gleich haben wir es geschafft!« Ein weiterer, gewaltiger Ruck und sie lag mit ihrem Gesicht vor ihm im Staub.
»Puh!« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und hielt in seiner Bewegung plötzlich inne. »Was pfeift denn da? Hören Sie das?«
Sie lag immer noch auf dem Bauch vor der Grube und atmete heftig. »Das blöde Loch ... war einfach da!« japste sie und blickte ihn an.
Pierre angelte nach der Laterne und erhob sich langsam, während er diese seltsamen piepsenden Töne zu deuten versuchte. Vorsichtig streckte er seinen Arm mit der daran baumelnden Leuchte über den Rand des Lochs und sah in die Tiefe. »Gütiger Himmel!« rief er laut und wandte sich angewidert ab.
Marie war unterdessen von der Grube weggekrochen und hatte sich erschöpft gegen den nächsten Sarkophag gesetzt.
Mit blankem Entsetzen im Gesicht sah Pierre nochmals in das Loch.
»Haben Sie was gefunden?« fragte Marie schon wieder neugierig und erhob sich.
»Nein!« Pierre machte eine abwehrende Handbewegung in ihre Richtung. »Bleiben Sie bloß da! Das ist nichts für eine Frau!«
Aber sie stand schon neben ihm. »Warum bewegt sich die Erde da unten?« fragte sie ungläubig, als die ersten Ratten bereits über den Rand der Grube herausquollen. In wilder Flucht, vom Schein der Lampe verschreckt, stoben die braunen Leiber am Boden des Loches auseinander und verschwanden in irgendwelchen Gängen. Einige kletterten die Wände hinauf.
»Wir haben endlich die Quelle des Gestanks gefunden«, sagte Pierre ernst, als
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