Seelenbrand (German Edition)
abzuwenden. »Meinen Vater nicht ... und meine Mutter auch nicht.« Sie redete wie in Trance. »TantePauline hat mir nur gesagt, daß sie bei einem Feuer gestorben wären.«
»Aber dann sind sie doch ...« Er war verwirrt und suchte nach den sanftesten Worten. »Dann wissen Sie doch eigentlich, daß sie nicht mehr ... am Leben sind.«
»Ich glaube ihr nicht!« Sie wischte sich mit ihrem Ärmel über die Augen und sah ihn an. »Ich habe ihr nie geglaubt!«
»Warum nicht?« Er legte die Papiere zur Seite.
»Ich habe nie eine Photographie, einen Brief oder ... irgendein Erinnerungsstück von ihnen in den Händen gehalten.«
»Und was hat Madame Pauline dazu gesagt? Sie haben sie doch sicher danach gefragt?«
Marie nickte. »Es wäre alles verbrannt ... in diesem fürchterlichen Feuer.« Die Tränen liefen ihr wieder übers Gesicht. »Von ihnen sei nicht mehr übriggeblieben ... als Asche.« Sie blickte ihn an. »Finden Sie es nicht auch seltsam, daß nichts von ihnen geblieben sein soll? Nicht einmal ein Photo oder ...«, sie gestikulierte unbeholfen mit den Händen, »... oder irgend etwas?«
»Was ist mit Ihrer Tante? Hatte sie denn keine Sachen von Ihren Eltern?«
»Das einzige, das ich seit meiner Kindheit besitze ...«, sie griff sich an den Hals und deutete auf ihre Kette mit einem Anhänger, »... ist dieses Medaillon.« Mit zittrigen Händen öffnete sie den Verschluß des Schmucks und reichte ihn Pierre herüber. »Sie ist ja auch gar nicht meine richtige Tante ... aber ich nenne sie schon so lange, wie ich denken kann Tante Pauline . Sie war eine Freundin meiner Eltern, sagt sie.«
»Glauben Sie ihr nicht?« forschte Pierre behutsam weiter und mußte zugeben, daß ihm diese Geschichte ebenfalls sehr seltsam vorkam.
Das Medaillon in seiner Hand war noch warm von ihrer Haut.
»Würden Sie ihr glauben?« fragte sie zurück und sah ihn erwartungsvoll an.
»Also wissen Sie ...« Pierre versuchte sich vorsichtig aus der Affäre zu ziehen und drehte den münzartigen Anhänger zwischen seinen Fingern, um die ganze Inschrift lesen zu können. »Michael ... Gabriel ... Raphael ... und Uriel?« Erstaunt sah er sie an. »Die vier Erzengel! Es ist wohl so eine Art Schutzamulett.«
»Als ich klein war, da hab’ ich Tante Pauline noch geglaubt.«Sie nahm die Kette zurück und legte sie sich wieder um ihren schlanken Hals. »Aber ... in den vielen Jahren im Internat ... da hatte ich genug Zeit, um über alles nachzudenken. Auch wenn Tante Pauline mich wie eine Mutter großgezogen hat ...«, in ihren Augen standen immer noch die Tränen, »... ich glaube ...«, sie konnte es kaum über ihre Lippen bringen, »... daß ... sie mich die ganzen Jahre belogen hat.«
»Zugegeben ...«, Pierre bemühte sich, jetzt nur nichts Falsches zu sagen, »... vielleicht ist die Geschichte, wie Ihre Eltern ... zu Gott befohlen wurden ... ein wenig ungewöhnlich, aber ...«
»Würden Sie ihr glauben?« fiel sie ihm ins Wort.
»Hm, immerhin hat sie viel für Sie getan ...«
»Muß ich deshalb mein ganzes Leben mit einer Lüge leben?«
»Nein, das müssen Sie nicht!« Er ergriff ihre zitternde Hand, die vor ihm auf dem Tisch lag.
»Ich glaube ...« Ihr fiel es schwer zu sprechen, aber er nickte ihr aufmunternd zu. »... Ich glaube, meine Mutter hat mich einfach weggegeben.« Große Tränen rannen ihr übers Gesicht. »Tante Pauline hat mich dann angenommen ... und wie ihr eigenes Kind großgezogen.«
Er tätschelte ihr tröstend die Hand und reichte ihr ein frisches Taschentuch. »Reden Sie sich nur alles von der Seele, Marie. Als Pfarrer bin ich zum Schweigen verpflichtet.«
Sie nickte und tupfte sich die Tränen aus ihrem Gesicht.
»Haben Sie jemals mit Ihrer Tante darüber gesprochen?«
»Ja, ich habe es oft versucht ... immer wenn ich in den Ferien aus dem Internat nach Rennes gekommen bin.«
»Und?«
»Sie hat mir immer wieder diese Geschichte von dem Feuer erzählt, in dem meine Eltern umgekommen sein sollen. Außerdem haben wir uns dann regelmäßig gestritten. Ich wäre undankbar, nach all dem, was sie für mich getan hätte ... da dürfte ich nicht so mit ihr reden.«
»Sie macht doch einen solch gemütlichen und mütterlichen Eindruck ... vielleicht wäre manch anderer froh, eine solch gute Mutter zu haben?«
»Sie haben mich nicht verstanden!« protestierte Marie schon wieder lauter.
»Doch, doch!« Er klopfte ihr beruhigend auf die Hand. »Aber... haben Sie irgendeinen Anhaltspunkt für Ihre Vermutung, daß
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