Seelenbrand (German Edition)
Ihre Tante nicht die Wahrheit sagt?«
»Vermutung!? Ich weiß es einfach! Ich spüre es, daß sie mir etwas verheimlicht! Und außer diesem Anhänger, den ich schon so lange besitze, wie ich denken kann, gibt es nichts ...«
Sie saßen sich schweigend gegenüber.
»Wollen Sie noch einen Cognac?« Etwas anderes wußte Pierre zu dieser komplizierten Geschichte momentan auch nicht zu sagen.
Marie lächelte und rieb sich ihre geröteten Augen.
»Wenn Sie lange genug suchen, finden Sie in jedem guten Pfarrhaus irgendwo ein Fläschchen Seelentröster. Glauben Sie mir!« Pierre sah sie an und nippte an seiner Tasse.
»Das ist ja interessant«, murmelte er, als er flüchtig die oberste Seite der geretteten Papiere betrachtete. »Der alte Abbé muß ein wirklich fleißiger Mensch gewesen sein. Hier hat er für das Jahr 1904 elftausend Messen eingetragen, mit dem jeweiligen Geldbetrag.«
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet, daß – wenn die Zahlen hier stimmen – Ihr alter Pfarrer über ein ganz schönes Sümmchen Geld verfügt haben muß, allein für dieses eine Jahr.«
Marie sah ihn ratlos an. »Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung wovon Sie reden.«
»Sehen Sie!« Pierre reichte ihr die Liste. »Wir Pfarrer dürfen zwei Messen am Tag lesen, und diese Messen hat er offensichtlich verkauft. Hm? ... Praktisch geht das etwa so, daß man die Hinterbliebenen am Todestag eines Verstorbenen dazu ermahnt, eine Messe für das Seelenheil des zu Gott Befohlenen lesen zu lassen.«
»Und dafür bezahlen sie?«
»Richtig! Aber selbst wenn er jeden Tag beide Messen verkauft hätte, käme er in einem Jahr nicht einmal auf ... achthundert.« Pierre tippte mit dem Finger auf die Zahlen am Ende der Seite. »Und er hat angeblich elftausend Messen gehalten! Ganz abgesehen davon ...«, er kratzte sich hinter seinem Ohr, »... würde der Bischof tot umfallen, wenn er diese Liste in seine Hände bekäme. Sie ist tatsächlich der Beweis dafür, daß Ihr ehemaliger Pfarrer einen der schwersten Amtsmißbräuche begangen hat, den sich meine kirchliche Obrigkeit vorstellen kann.«
»Wäre das denn wirklich so schlimm?«
»Oh, ja! Etwa so ... als wenn er die Kelche und Schalen aus der Kirche verkauft hätte, um sich davon ein Leben in Saus und Braus zu finanzieren.«
»Aber Sie haben doch gesagt ...«, er hatte Marie neugierig gemacht und damit von ihren trübsinnigen Gedanken weggelockt, »... daß er eigentlich doch gar keine elftausend Messen in einem Jahr lesen konnte?«
»Ja!« Pierre nickte und dachte nach. »Vielleicht ist diese Aufstellung auch nur dazu da, um die wahre Herkunft des Geldes, über das er ja ohne Zweifel reichlich verfügte, zu verschleiern.« Er deutete mit seiner Hand auf das ganze Anwesen. »Von irgendwoher muß der Reichtum doch gekommen sein.« Er legte sich wie ein Sünder die Hand auf seine Brust. »Sehen Sie mich an!« Unschuldig blickte er sie an. »Hier sitzt ein Pfarrer ... und der ist arm wie eine Kirchenmaus, genau wie Hunderte seiner Kollegen!«
Marie musterte ihn provozierend und räumte dann das Geschirr zusammen. »Geld ist ja schließlich nicht alles«, lachte sie, ohne ihn dabei anzusehen. »Ich weiß zwar nicht so viel über die Kirche, wie Sie ... aber mir ist es rätselhaft, warum er diese Listen geführt hat, wenn sie der Beweis dafür sein sollen, daß er etwas Unrechtmäßiges getan hat.« Sie faßte sich an den Kopf. »Das wäre doch reichlich dumm, oder?«
Pierre nickte. »Sie haben recht.« Er sah sich einige andere Blätter des Stapels an. »Hier eine Reihe von Abkürzungen, vielleicht sind das Namen ... und dahinter jeweils ein Geldbetrag.« Er schüttelte den Kopf. »Mir ist es jedenfalls noch nicht vorgekommen, daß mir irgendwelche Leute Geld nachgeworfen haben.« Er sah zu Marie hinüber, die das Geschirr spülte. »Und dabei bin ich bestimmt kein schlechterer Pfarrer als der Alte!«
»Hat Ihnen Olivier eigentlich die Sache mit der kleinen Schatulle erzählt, die er bei den Renovierungsarbeiten in der Kirche gefunden hat?«
»Ja, der alte Abbé habe sie behalten und danach alle Arbeiter sofort nach Hause geschickt. Dann soll er auf dem Friedhof mit dieser nächtlichen Graberei angefangen haben. Das sagt jedenfalls dieser Kerl.«
Marie nickte. »Ich weiß noch, wie eine Abordnung der Gemeindebeim Pfarrer gewesen ist, um sich über diese Schändung des Friedhofs zu beschweren.«
»Und?«
»Nichts ist passiert! Er hat weitergegraben. Allerdings hat er nach ein paar
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