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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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bis zu seinem Tod mit sich herumtrug, der Grund dafür, daß ihm sein eigener Freund die letzte Segnung verweigert hatte, und jener seitdem selbst in ständiger Furcht lebte ... wie das Reh vor dem Jäger.
    »D UBIUM S APIENTIAE I INITIUM , Zweifel ist der Weisheit Anfang «, las er langsam, als er den schäbigen Lumpen wieder zusammenlegte und einsteckte.
    Was wäre denn ... es fiel ihm schwer, seinen Gedanken weiterzuführen, denn das, was ihm jetzt durch seinen Kopf spukte, machte ihm Angst und war so ungeheuerlich und ketzerisch ... daß ihn Gott allein dafür, daß er es wagte über so etwas nachzudenken,in die tiefsten Tiefen der Hölle jagen würde. Aber die zwei Knaben gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn. Es war doch ohne Zweifel die Gottesmutter Maria, so besagte es doch auch die zum Teil zerstörte Inschrift am Fuß der Statuen, die dort mit den zwei gelockten Knäblein an ihrer Seite dargestellt war.
    Sein Herz begann laut zu pochen und eine unerklärliche Hitze bemächtigte sich seines Körpers.
    Vielleicht brannte er schon im Feuer, als Strafe für das, worüber er gerade nachgedacht hatte!
    Seine Sinne rasten, und sein Puls trommelte in seinem Kopf, als er sich langsam von der Bank auf die Knie herabgleiten ließ. Irgend etwas versuchte ihn zurückzuhalten ... aber es war zu schwach. Seine zittrigen Finger hatten bereits damit begonnen, langsam und wie in Trance, die Worte in den Staub zu schreiben, die er auf der halb zerstörten Tafel gelesen hatte.
    M ARIA M ATER G...
    Alle Mächte des Himmels und der Hölle jagten in wilder Fahrt durch seine Seele, als er den ersten Buchstaben des zerstörten Wortes – der noch zu erkennen gewesen war – mit unvorstellbarer Kraftanstrengung auf den Boden malte. Er hielt inne und sein Kopf sank ihm erschöpft auf die Brust.
    Nein! Ich kann es nicht!
    Der Schweiß rann ihm von der Stirn und tropfte hinunter.
    Nein! Ich will nicht!
    Und doch erhob sich wie von Geisterhand sein rechter Arm, und seine Finger begannen erneut unter Qualen ihr Werk fortzusetzen. Mit jedem Buchstaben, den sie schrieben, fühlte er das Höllenfeuer heißer um sich herum. Jeder Augenblick brachte ihn jetzt dem Scheiterhaufen näher. Mit weit aufgerissenen Augen fiel er zurück, als er sein teuflisches Werk vollendet sah.
    Nein! Das habe ich doch nicht wirklich geschrieben! Oh, Gott!
    Seine Augen waren gerötet von der Höllenglut, die ihn verbrannte. Und es war eben diese Hölle, die ihn jetzt auch noch dazu zwang, das auszusprechen und zu bekennen, was vor ihm in den Staub geschrieben stand.
    »M ARIA M ATER G EMINORUM . M ARIA , DIE M UTTER DER Z WILLINGE .«
    Die Flammen des Feuers schlugen über ihm zusammen.

10
    »Nehmen Sie Zucker?«
    »Egal!« sagte sie heiser und hielt sich den Kopf. »Nach Ihrem Cognac brauch’ ich erst mal einen schwarzen Kaffee.«
    Die Beerdigung – oder das heimliche Verscharren – des Aushilfspfarrers hatte Marie mehr zugesetzt als sie zugeben wollte. Nachdem er ihr begreiflich gemacht hatte, daß es ausgeschlossen war, diesen armen Kerl aus seinem tiefen Loch zu holen, ohne den ganzen Ort in Angst und Schrecken zu versetzen, hatten sie unten in der Krypta eine kleine Trauerfeier abgehalten, die alten Meßgewänder aus dem Schrank über den Toten geworfen und ihn schließlich mit Sand zugeschüttet.
    »Schrecklich! Einfach schrecklich!« Erschöpft starrte sie auf die schwarze Brühe in ihrer Tasse, während Pierre begann die Papierseiten von der Leine zu nehmen, die er in der Küche des Pfarrhauses gespannt hatte, um diese letzten Listen, die er vor dem Feuer in der Villa hatte retten können, zu trocknen.
    »Sie waren wohl noch nicht oft bei einer Beerdigung, Marie?« Nachdenklich legte er die Papiere aufeinander und setzte sich wieder zu ihr an den Tisch.
    »Das war für mich nicht gerade eine Beerdigung«, antwortete sie leise, nahm einen großen Schluck der bitteren Brühe und verzog das Gesicht.
    »Sie wollten doch einen starken Kaffee!« entschuldigte sich Pierre schon mal vorsorglich, denn allmählich kannte er ja ihr Temperament.
    Marie war aber offensichtlich nicht in der Stimmung, sich jetzt mit ihm zu streiten. »Wissen Sie ...«, sagte sie traurig und sah aus dem Fenster, als eine dicke Träne ihre Wange herunterlief, »... manchmal frage ich mich, ob meine Eltern noch leben?«
    »Sie haben sie nie gesehen?« Pierre sprach so behutsam wie es ging.
    »Nein!« Nachdenklich schüttelte sie den Kopf, ohne ihre vertränten Augen vom Fenster

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