Seelenbrand (German Edition)
nun unserem neugierigen Bartholomäus freimütig, ›sollte der Erzengel Michael Erde von den vier Enden der Welt, und Wasser aus den vier Flüssen des Paradieses zu Gott bringen, und dieser formte daraus den Adam, und zwar genau nach seinem Abbild.‹ Gott selbst erwies seiner neu geschaffenen Kreatur Verehrung, und auch der Erzengel Michael betete ihn an, weil er eben das Abbild Gottes war ... Und jetzt wörtlich: ›Als ich aber von den Enden der Welt kam, sagte mir Michael: Bete das Abbild Gottes an, das er nach seinem Bilde geschaffen hat! Ich aber erklärte: Ich bin Feuer vom Feuer, als erster Engel bin ich geschaffen worden, und da soll ich Lehm und Materie anbeten? Da sagte mir Michael: Bete an, damit Gott nicht zornig wird auf dich! Ich erwiderte: Gott wird nicht zornigwerden auf mich, aber ich werde meinen Thron gegenüber seinem Thron errichten und sein wie er.‹« Pierre unterbrach einen Moment die Rede des Satans. »Ist es nicht interessant, daß die alten Kirchenväter genau diese Stelle ... mit den zwei Thronen für so glaubwürdig hielten, daß sie nichts dagegen hatten, daß sie im Alten Testament im Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 14, Vers 13 für immer verewigt wurde?«
»Dann gibt es ihn also wirklich ... den Teufel?« fragte Marie vorsichtig und raffte den Umhang an ihrem Hals zusammen.
»Laß uns mal hören, was der Teufel selbst dazu sagt. Also ...«, er überlegte einen Augenblick, »... wo war ich? Ach ja, der Teufel, der bis zu diesem Zeitpunkt noch der höchste Engel im Himmel war – er hieß übrigens Luzifer, der Lichtträger ... aber das nur am Rande –, er wollte also diesen Adam nicht anbeten. ›Da wurde Gott zornig auf mich und warf mich hinunter, nachdem er die Ausgänge des Himmels hatte öffnen lassen. Als ich hinabgestürzt war, fragte er die 600 Engel, die unter mir standen, ob sie Adam anbeten wollten. Sie antworteten: Wie wir es unseren Führer tun sahen, beten auch wir den nicht an, der geringer ist als wir. Und nach unserem Sturz auf die Erde ... lagen wir vierzig Jahre in tiefem Schlaf, und als die Sonne siebenmal heller leuchtete als Feuer, erwachte ich. Und da ich mich umschaute, sah ich die 600 unter mir, von tiefem Schlaf umfangen. Und ich weckte meinen Sohn Salpsan und beriet mich mit ihm, wie ich den Menschen betrügen könnte, um dessentwillen ich aus dem Himmel geworfen worden war. Und ich dachte mir folgendes aus. Ich nahm eine Schale in meine Hand und strich den Schweiß von meiner Brust und meinen Achselhöhlen hinein und wusch mich an der Wasserquelle, aus der die vier Flüsse hervortreten. Und Eva trank davon, und die Begierde erfaßte sie. Hätte sie jenes Wasser nicht getrunken ... so hätte ich sie nicht betrügen können.‹«
Pierre unterbrach. »Und dann kam eben die Sache mit der Schlange und dem Apfel am Baum der Erkenntnis. Aber den Rest kennst du ja.«
Marie nickte und lauschte.
»Und weil unserer Bartholomäus ein netter Mensch war«, fuhr Pierre fort, »fragte er Jesus: ›Herr, soll ich jedem Menschen diese Geheimnisse enthüllen?‹ Jesus antwortete ihm: ›Bartholomäus,mein Geliebter, allen, welche gläubig sind, und die diese Geheimnisse für sich behalten können, vertraue sie an! Es gibt nämlich solche, die ihrer würdig sind; es gibt aber auch andere, denen man sie nicht anvertrauen darf, es sind nämlich Aufschneider, Trunkenbolde, Hochmütige, Unbarmherzige ...‹« Pierre winkte ab. »Jetzt kommt erst eine ganze Litanei ... aber dann geht es schließlich weiter. Jesus sagte also: ›Diese Dinge sind nämlich auch wegen derer geheim zu halten, die sie nicht fassen können. Denn alle, die sie fassen können, die werden an ihnen teilhaben.‹«
Er schwieg einen Augenblick. »Ist das nicht genau die Anleitung, nach der unsere Kirchenväter gehandelt haben ... indem sie viele Sachen gar nicht erst in das Neue Testament aufgenommen haben, weil sie schon damals der Ansicht waren, der Normalsterbliche könne sie nicht verkraften?«
Marie sagte nichts. Sie war blaß und starrte vor sich hin. »All diese fürchterlichen Sachen gehen dir durch den Kopf?« fragte sie schließlich nach einer Weile. »Wie hältst du das nur aus? All diese ungelösten Fragen und Zweifel über den Himmel?«
»Damit!« Pierre war aufgestanden und kramte in der alten Tasche, die er sich umgehängt hatte. »Hier! Nimm einen Schluck!« Er hielt ihr ein kleines Fläschchen unter die Nase. »Mit den besten Grüßen von deinem Freund, dem Wirt!«
Sie nahm einen
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