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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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was darin steht, die Lügengeschichte der Kirche stören würde, hat man sie – wie all die anderen apokryphen Schriften – als haltloses Geschmiere verurteilt ... und erst mal den Augen der einfältigen Gläubigen entzogen.«
    Severin war zum Fenster hinübergegangen und sah hinaus. »Sie haben sich also auch schon ... mit diesen apokryphen Gedanken infiziert?« sagte er leise ohne seinen Blick von der Blumeauf dem Fensterbrett zu nehmen. »Hat man erst mal davon gekostet ...«, murmelte er, »... gibt es keine Rettung mehr! Man kann nicht mehr schlafen ... und zermartert sich den Kopf darüber, ob es stimmt, oder nicht. Es ist alles so ungeheuerlich ... und der Zweifel wächst von Tag zu Tag. Der Zweifel ... an unserem Herrn ...« Er sah auf seine zittrigen Hände. »Und am Ende verzehrt einen die elende Gier nach der Wahrheit! Es bleibt nur das Nichts ... die Finsternis ... und der Tod!«
    Es herrschte völlige Stille. Niemand der Anwesenden wagte zu atmen.
    »Na, lesen Sie schon! Sie sind doch genauso gierig darauf, wie ich es war!« Ungeduldig gab Severin Pierre ein Zeichen laut vorzutragen was auf diesen Zettel gekritzelt war.
    »Also ... ›Ein Mann trat vor Jesus hin, und dieser Mann sah Jesus im Aussehen des Apostels Judas Thomas. Als Jesus nun bemerkte, daß ihn der Mann mit seinem Bruder zu verwechseln schien, sagte er: Ich bin nicht Judas mit dem Zunahmen Thomas, ich bin sein Bruder. ‹ «
    Severin hatte jedes Wort leise mitgesprochen, sie hatten sich wohl schon in seinem Geist eingebrannt.
    Stille.
    Marie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und traute sich erst nach einer Weile ihre Stimme zu erheben. »Äh ...«, sie hüstelte, »... da ich nun die einzige in diesem Raum bin, die keine theologische Ausbildung hat, frage ich mich – selbst auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen –, ob Jesus überhaupt Brüder hatte?«
    Severin und Pierre sahen sich an.
    »Sagen Sie’s ihr!« schnaufte der Kräuterbruder müde und starrte wieder aus dem Fenster.
    Pierre nickte und wandte sich an Marie. »Ob du es glaubst, oder nicht«, sagte er bedeutsam, »diese Geschichte ist nicht aus der Luft gegriffen. Im Evangelium nach Markus steht zum Beispiel in Kapitel sechs eine Stelle, an der sich die Menschenmenge fragte, wer denn dieser ungewöhnliche Mann sei, der da heilte und die Wunder tat. ›Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?‹«
    »Es ist also im Neuen Testament unbestritten ...«, fragte Marie vorsichtig nach, »... daß Jesus Geschwister hatte?«
    »So wie es aussieht, hatte er sogar Schwestern«, sagte Severin leise, ohne seinen Blick von der Blume abzuwenden. »Aber das ist hier nicht wichtig.«
    »Wichtig ist ...«, mischte sich Pierre ein, »... daß Markus die Reihe seiner Brüder nennt, von denen einer Judas hieß.«
    »Und dieser Judas ...«, fuhr der Kräuterbruder langsam fort, »... hatte den Beinamen ›Thomas‹ ... und das Wort ›Thomas‹ bedeutet aus dem Hebräischen übersetzt ... ›Zwilling‹ ... Ist das nicht ein Zufall?« Er sah zu Pierre hinüber. »Aber lesen Sie auch noch den Rest vor! Der alte Saunière hat mir aus den Thomasakten noch etwas herausgesucht und aufgeschrieben ... etwas, das mein Mißtrauen und meinen Argwohn gegenüber seiner wahnsinnigen Geschichte gehörig ins Wanken gebracht hat. Lesen Sie!«
    »Also hier steht noch ... in diesen Thomasakten ... wörtlich: ›Zwillingsbruder des Messias ... Apostel des Höchsten und miteingeweiht in das verborgene Wort des Messias, der du seine verborgenen Aussprüche empfängst ...‹ Und hier unten ist noch ein Teil einer Anrufung des Heiligen Geistes: ›Komm, heilige Taube, die du die Zwillings-Jungen gebierst ...‹«
    Langsam legte Pierre den schäbigen Zettel auf den Tisch. »Halten Sie diese Geschichte für glaubhaft?« fragte er in Severins Richtung, der müde aus dem Fenster sah, während sich Marie eiligst das verknitterte Stück Papier nahm und ihre Nase hineinsteckte.
    Der seufzte und wandte seinen Kopf in ihre Richtung. »Wie ich sehe, kennen Sie die Stellen in der Bibel ... über diesen Thomas ... den sie den Zwilling nannten ... genauso gut wie ich. Und ›Thomas‹ heißt nun mal zufällig im Hebräischen ›Zwilling‹ ... und wenn man dann noch diese unglaublichen Zeilen aus den Thomasakten dazunimmt ... und diese vielen Gemälde überall in den Museen ... mit dem Zwilling, der Jesus bis aufs

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