Seelenbrand (German Edition)
mit dunklen Mächten und Dämonen eingelassen hatte. Und genau hier, wo das Schießpulver stand, war das Zentrum dieser Kultstätte. Alle Figuren blickten, soweit es der Schein der Laternen erkennen ließ, in seine Richtung ... genau in dieses imaginäre Zentrum. Vorsichtig schob er ein Fäßchen mit dem Fuß zur Seite. Hier war doch beim letzten Mal noch so eine Art Sockel gewesen, auf dem ursprünglich etwas gestanden hatte, das mitGewalt entfernt worden war . Ja, da ist es! Dieses steinerne Podest war noch da ... aber wo war der Gegenstand der ursprünglich auf ihm gestanden hatte?
»Wir brauchen mehr Licht!« rief er zu Marie hinüber, die immer noch emsig an der kleinen Figur herumfummelte.
»Ich glaube ... hier im Sockel steckt was drin!« kam es aufgeregt zurück.
Sie hatte ihn scheinbar gar nicht verstanden. Da das Schießpulver nur im Zentrum der runden Halle stand, entzündete er eine Fackel nach der anderen. Sie steckten neben jeder Nische in eisernen Vorrichtungen, und das weit weg von den kleinen explosiven Fäßchen.
»Was ist das überhaupt für ein Kerl?« Er stellte gerade die letzte der Fackeln neben ihr in die Halterung, als sein Blick auf die seltsame Gestalt fiel, an deren Füßen sie immer noch so ungeduldig herumzerrte.
»Nun geh schon auf ... blödes Ding!« schimpfte sie. Die Halle war durch den flackernden Schein des Feuers zu neuem Leben erwacht. Fasziniert betrachtete Pierre die schaurige Szenerie. Marie hingegen hatte momentan überhaupt keinen Blick dafür, sie war immer noch mit diesem Ding beschäftigt.
»Also? Was ist das nun für einer?« Er stellte sich neben sie und beobachtete mit verschränkten Armen, wie sie immer nervöser wurde.
»Hier!« Sie drückte ihm schließlich die Statue in die Hand. »Da hilft nur noch blanke Männergewalt. Ich hab’s versucht!« Sichtlich verärgert kreuzte sie die Arme vor der Brust.
»Wer soll das sein?« Pierre besah sich das kleine Männlein, das aus Bronze oder einem ähnlich schweren Metall gefertigt worden war.
»Keine Ahnung! Ich hab’ sie einfach aus der Nische genommen.«
»Hm? Sieht aus wie ein Mann mit einem langen Umhang und einem Wanderstab.«
»Warte ... hier steht doch noch etwas!« Marie spuckte auf ihren Finger und rieb damit emsig über eine Stelle am Sockel. »Da! Nur ein Wort! Ganz klein!«
Pierre hielt den seltsamen Mann in den flackernden Schein der Fackel. »J e s a j a«, las er stockend. »Aber hier auf der Seitesteht noch mehr!« Mit seinem Ärmel wischte er den Staub beiseite. »Sohn des Amoz. Unter der Regentschaft des Usija ... Jotam ... Ahas ... und Hiskija ... den Königen von Juda.«
Sie sahen sich an.
»Kennst du die?« fragte Marie aufgeregt und nahm die kleine Statuette wieder an sich, um erneut den Sockel zu malträtieren.
»Hm? Der einzige Name, der mir etwas sagt ... ist natürlich Jesaja; aus dem Alten Testament. Der Prophet ...«
»Ja, den kenn’ ich auch!« unlustig winkte Marie ab. »Wenn diese alten Propheten in der Sonntagspredigt abgehandelt wurden, hab’ ich kein Wort verstanden.«
»Siehst du ...«, er nahm ihr die Figur wieder aus den Händen – dieses hektische Gefummel war ja nicht mit anzusehen, »... und dafür gibt es eben den Priester. Leute wie mich, die die Schrift so lange biegen und kneten ...«, mit aller Kraft zog er an einer Ecke des Sockels, »bis etwas herauskommt, das jedermann verstehen kann!« Mit einem hellen Klimpern fiel ein metallenes Teil auf den marmorglatten Boden.
»Es ist offen!« jubelte Marie. »Ich wußte doch, daß dort ein Fach ist!«
»Und hier«, Pierre steckte zwei Finger in die Öffnung und zog ein gerolltes Papier heraus, »haben wir noch etwas.«
»Was steht drin?« aufgeregt hüpfte Marie hin und her, während er vorsichtig seinen Fund entrollte.
»Das Papier ist nicht sehr alt.« Er fuhr mit den Fingern darüber. »Ganz im Gegenteil. Und hier ...«, er beugte sich zur Fackel herüber, »... die Schrift ist deutlich zu lesen. Ich hasse zwar dieses handschriftliche Gekrakel, aber dieses hier geht ...«
»Was steht drin? Was steht drin?« sie zupfte ihn aufgeregt am Ärmel. »Los, sag schon!«
Zuerst betrachtete er das Papier lange. Dann sah er sie an. »Das ist aber nicht sonderlich appetitlich am Anfang ...«
»Egal! Lies es endlich!«
»Also«, er holte tief Luft. »›Höret! Dies sind die Worte des Propheten Jesaja, Sohn des Amoz ...‹, und so weiter.« Er sah kurz auf. »Seltsam! ... Aber warte, hier geht’s weiter!
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