Seelenbrand (German Edition)
Dreijähriger in ein Loch zu fallen. So was Blödes!
Er schüttelte sich den unaufhaltsam nachrieselnden Sand aus den Haaren und klopfte beiläufig mit der flachen Hand auf den Boden. Ein dumpfer hohler Ton? Dann hatte er vorhin doch richtig gehört. »Oh, Scheiße!« entfuhr es ihm aus tiefster Seele. Ich sitze auf einem Sarg! Er klopfte nochmals und verzog angewidertdas Gesicht. Das gibt’s doch nicht! Ist das nicht wieder typisch? Was schief gehen kann, geht auch schief! Bäh! Bloß raus hier!
Mit Schwung erhob er sich, als es unter ihm gefährlich zu knarren begann.
»Oh Gott! Oh Gott! Scheiße!« Er traute sich nicht mehr sich zu bewegen, denn wenn dieser Holzdeckel da unten nachgab ... nicht auszudenken.
Obwohl er jetzt aufrecht in dem Loch stand, lag der Rand der Grube immer noch außer Reichweite. Verdammt! Verdammt! Natürlich das tiefste Loch von allen! Der Sand rieselte, und es knackte unaufhörlich unter seinen Füßen. Außerdem hatte er ausgerechnet eines dieser wenigen Gräber erwischt, an dessen Rand noch ein wackeliger Grabstein stand. Und dieser Brocken hing – bedrohlich wie ein Hinrichtungsinstrument – in beängstigender Schieflage über seinem Kopf. Antoine Bigou, Abbé ... stand auf dem verwitterten Klotz, den er von dort unten immer noch taxierte. Mindestens zweihundert Kilo! Dafür hatte er einen Blick. Allmählich wurde die ganze Sache nicht nur peinlich, sondern auch ausgesprochen gefährlich.
Langsam streckte er seine Arme aus und suchte am Rande des Lochs nach einem Halt, um sich hochzuziehen. Dabei knackte es eindringlich unter seinen Füßen. »Entschuldigen Sie, Monsieur Bigou!« Manchmal blieb ihm einfach nur noch der Sarkasmus. »Wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin ...«, er fand in dem lockeren Sand am Grubenrand aber keinen Halt, »ich bin auch gleich wieder weg!«
Noch während er sich abermals reckte, knackte es wieder, und sein rechter Fuß brach durch den Holzdeckel. »Scheiße! Scheiße! Scheiße!« Sein Bein steckte jetzt bis zum Knie in diesem Loch. »So eine Scheiße!« Laut fluchend versuchte er seinen Fuß herauszuziehen.
»Oh! Verdammt! Verdammt! Was ist denn das?« Er merkte, wie sein Schuh und sein Socken langsam feucht wurden. Es hatte einen Augenblick gedauert, aber jetzt war die Nässe auf seiner Haut deutlich zu spüren. Wild und ungestüm riß er immer wieder mit den Händen an seinem rechten Knie, um den Fuß zu befreien und herauszuziehen. Gleich wird mir schlecht! Panik stieg in ihm auf. Der Sand rieselte immer noch und legte das Fundament des Grabsteins über ihm allmählich frei. Die Situation wurdemit jeder Sekunde brenzliger, denn er steckte genau unterhalb dieses Brockens fest. Getrieben von unbändigem Ekel zog er noch einmal ruckartig an seinem rechten Bein, als mit einem knackenden Geräusch auch das zweite einbrach. Jetzt stand er mit beiden Füßen in einem feuchten Matsch. Er konnte ihn zwar nicht sehen, er konnte ihn aber fühlen, wie er schleimig beide Unterschenkel umschloß.
Ich komm’ hier allein nicht mehr raus! Panik erschlich sich allmählich die Oberhand. Und jetzt, nachdem er ganz eingesackt war, konnte er mit seinen Armen nicht einmal mehr den Rand des Lochs erreichen. Ich komm’ hier nicht mehr raus! Hilflos fuchtelte er herum und suchte dabei hektisch nach irgend etwas, an dem er sich festhalten konnte. Aber es war nichts da! Keine verdammte Wurzel, rein gar nichts!
Hilflos hielt er einen Moment inne und beobachtete mit wachsendem Grausen das Fundament des Grabsteins über sich, das nun völlig offen dalag. Der lockere Sand unterhalb des Sockels rann wie bei einer Eieruhr unaufhaltsam weiter auf ihn hinunter.
Verzweifelt unternahm er einen weiteren Versuch sich zu befreien. Er zog und zog ... und drehte an seinen Beinen, bis plötzlich ... Was war das? Jetzt nur keine Bewegung mehr! Es hat doch schon wieder geknackt! Sein Blick war starr auf seine Beine gerichtet.
»Nein! Das kann doch wohl nicht wahr sein! So ein ...« Es blieb ihm nicht einmal mehr die Zeit, um einen ordentlichen Fluch loszulassen, denn noch ehe er sich versah, gab der Boden unter seinen Füßen abermals nach. So! Jetzt steckte er schon bis zu den Hüften in dieser Matsche, die er genau fühlen konnte. Der Boden im Grab selbst war pulvertrocken. Der Deckel des Sargs hielt die Feuchtigkeit offensichtlich von der Oberfläche fern, jedenfalls so lange, wie er noch intakt war. Ihm war sofort klar, daß er jetzt in der Falle saß. Hier gab es ohne fremde
Weitere Kostenlose Bücher