Seelenfaenger - Deine Liebe raubt dir den Verstand
und kroch unter die Bettdecke. Noch lange lag sie wach und lauschte auf die Geräusche der Nacht.
Leise klopften die Zweige der uralten Bäume ans Fenster. Dann das Geräusch winziger Krallen über ihr.
Igitt, Mäuse auf dem Dachboden.
Knirschen von Kies.
Knirschen von Kies?
Mia fuhr in die Höhe. Wer sollte um diese Zeit auf dem Kiesweg durch den Garten spazieren? Ihre Mum und ihr Dad waren, seit sie den Genüssen des Landlebens frönten, Gartenbeete gestalteten, Gemüse zogen und Rasen mähten, vom Nachtschwärmer zum Stubenhocker mutiert, die sich spätestens um neun in ihr Schlafzimmer verzogen. Dort lief dann der Fernseher auf Sleeptimer und berieselte sie, bis ihnen die Augen zufielen.
Mit einem Satz war sie am Fenster. Gespannt starrte sie in die Dunkelheit.
Nichts. Still und friedlich lag der Garten im silbrigen Mondschein.
Seltsam , dachte Mia.
Vielleicht die Nachbarkatze?
Doch andererseits konnte sie es sich schwer vorstellen, dass sich dieses leichtfüßige, filigrane Tierchen innerhalb weniger Tage zum zentnerschweren Trampeltier gewandelt hatte.
Irgendwann in dieser Nacht schlief Mia dann doch ein, immer noch das Knirschen von kleinen Steinchen in den Ohren.
»Miaaaa! Mia, aufstehen!«
Empört über das unsanfte Wecken und die frühmorgendliche Störung packte sich Mia das Kopfkissen über die Ohren und versuchte, die unangenehmen Laute ihrer Mutter dadurch zu überdecken.
Doch Mia kannte ihre Mutter zu gut und wunderte sich deshalb kein bisschen, als diese wenige Augenblicke später energisch an ihre Zimmertür trommelte.
Gereizt pfefferte Mia das Kissen aus dem Bett und tapste verschlafen zur Tür, um zu öffnen.
»Was willst du?«, nuschelte sie und unterdrückte ein Gähnen.
»Zieh dich an, wir müssen los!«, lautete der unmissverständliche Befehl ihrer Mutter.
»Wie? Wohin denn? Habe ich irgendwas verpasst? Gibt’s heute Radieschensamen im Angebot oder klappen sie heute die Bürgersteige noch früher hoch als sonst?«
»Dir werden deine Frechheiten schon noch vergehen, Fräulein! Sieh zu, dass du in die Gänge kommst. Wir fahren in die Stadt.«
Mia lächelte spöttisch.
»Ah, du meinst diese hochmodernen Gassen, in denen sich ein trendy Laden an den nächsten reiht.«
»Ich erwarte dich in zehn Minuten im Auto. Ende der Diskussion.«
Mia salutierte höhnisch.
»Zu Befehl, Frau Oberfeldwedel.«
Die Tür schloss sich hinter ihrer Mutter mit einem ohrenbetäubenden Knall.
Mit sauertöpfischer Miene saß Mia elf Minuten später im Auto.
»Hättest du jetzt die Güte, mir mitzuteilen, was wir in der Stadt machen?«
»Wir kaufen dir etwas zum Anziehen und gehen zum Friseur. Heute Abend findet ein Fest auf dem Marktplatz statt, dort treffen wir uns mit der Familie eines Arbeitskollegen deines Vaters.«
Mia riss die Augen auf.
»Das kann nicht dein Ernst sein! Bist du völlig übergeschnappt!«
Ihre Mutter trat scharf auf die Bremse und manövrierte den Wagen an den Bordstein.
»Sag mal, wie redest du denn mit mir?«
Mia war den Tränen nahe.
»Ich will weder neue Klamotten noch meine Haare schneiden.«
Mias Mutter stieß einen theatralischen Seufzer aus.
»Mama«, quengelte Mia. »Das kannst du mir nicht antun.«
Mias Mutter versuchte sachlich zu sein.
»Kind, versteh doch, wir sind nicht mehr in Berlin. Und so wie du rumläufst, mache ich mich zum Gespött der ganzen Nachbarschaft.«
Mia funkelte ihre Mutter böse an.
»Du willst damit sagen, dass dir unsere Nachbarn wichtiger sind als mein Seelenfrieden?«
»Ich tue das auch für dich, mein Kind. So wie du aussiehst und dich gibst, wirst du niemals Anschluss finden. Und das Wichtigste in deinem Alter sind gute Freunde.«
»Die wahrscheinlich mit Zöpfchen und Strickpullover rumlaufen und in ihrer Freizeit über Beethoven und Mozart fachsimpeln. Die einmal die Woche Klavierunterricht haben und wenn sie nicht gerade mit Musizieren oder Häkeln beschäftigt sind, ehrenamtlich im Altersheim aushelfen.«
Ihre Mutter hob die Schultern.
»Was wäre daran so falsch?«
»Mum, ich bin nicht so. Du kannst mich nicht verdrehen und mir deinen Willen aufzwingen. Ist es denn so falsch, wie ich bin?«
Ihre Mutter schwieg. Doch das war Mia Antwort genug.
Warum hat mich nur diese blöde Steinlawine nicht platt gemacht, dann müssten sich meine Eltern nicht weiter für mich schämen.
Ist denn wirklich gar nichts an mir richtig oder liebenswert?
Wieso trampelt alle Welt
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