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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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die sich schnell entfernt hatten.
    Die Festung war nicht völlig leer und leblos. Außer ihr befand sich noch jemand an diesem kalten, düsteren Ort.
    Florence machte sich auf die Suche.
    Im Erdgeschoss stellte sie fest, dass sie sich in einem Nebengebäude der Festung befand, und ihren ersten Versuch, den großen Hof zum Hauptgebäude mit den beiden wuchtigen Türmen zu überqueren, brach sie schon nach wenigen Metern ab. Rings um den Hof ragten Mauern auf, aber der Wind fand einen Weg über sie hinweg, fauchte und heulte über den Platz und riss Florence fast von den Beinen. Als sie taumelte und um ihr Gleichgewicht rang, ging ihr Blick nach oben, und dort, hinter einem Fenster im ersten Stock, zeigte sich ein vages Glühen, das kurz flackerte und dann verschwand, wie hinter plötzlich zugezogenen Vorhängen.
    Florence kehrte ins Nebengebäude zurück und versuchte, sich zu orientieren. Sie wandte sich nach rechts, eilte durch einen dunklen Flur, stieß im Dunkeln gegen ein Hindernis und fiel der Länge nach zu Boden. Hinter ihr schepperte es, als eine Statue auf die Steinplatten krachte und in Dutzende von Einzelteilen zerbrach. Sie stand wieder auf, tastete sich an der Wand entlang durch die Finsternis, während hinter den dicken Mauern, nur wenig gedämpft, die Böen des Sturms zischten und fauchten. Kurz darauf erreichte sie eine Treppe, trat vorsichtig die Stufen hoch, eine Hand auf dem staubigen Gelände, und lauschte nach Geräuschen, die nicht vom Wind stammten. Oben im Flur verharrte sie kurz, vor dem inneren Auge ein Erinnerungsbild des Fensters, vom Festungshof aus gesehen. Nicht weiter als zehn Meter in diese Richtung entschied sie, und wieder nach rechts.
    Nach der halben Strecke knickte der Gang nach rechts ab, und an jener Stelle gab es ein Fenster auf der linken Seite, schmal und hoch wie alle anderen, und ebenso schmutzig. Aber es drang etwas Licht durchs staubige Glas, von der nicht völlig finsteren Nacht, und dadurch mischte sich etwas Grau in die Dunkelheit, gerade genug, dass Florence die Rüstung erkennen konnte, die auf einem Sockel stand. Dass sie nie einen Menschen geschützt hatte, war auf den ersten Blick zu erkennen: Sie ragte drei Meter weit auf, fast bis zur hohen, runden Decke, wölbte sich tonnenförmig im Brustbereich und wies sechs Arme auf, vier kurze und dicke, zwei lange und dünne. Wie ein Wächter stand der Riese aus Metall da, und Florence hielt ihre Fantasie im Zaum, als sie sich an ihm vorbeischob, für den Fall, dass es in diesem Space tatsächlich interaktive Rückkopplungen gab.
    Einige weitere behutsame Schritte brachten sie zu der Tür, hinter der sich das Zimmer befinden musste, aus dem das vage, flackernde Glühen gekommen war. Florence fand den Knauf in der Dunkelheit, drehte ihn langsam, öffnete die Tür einen Spaltbreit …
    Licht sprang in den Flur, erreichte die Rüstung, und für einen Moment glaubte Florence, dass sie sich bewegte, dass sie einen Fuß hob, um vom Sockel herunterzusteigen. Aber nichts dergleichen geschah, und es quietschten auch keine rostigen Scharniere; es blieb still, abgesehen vom dumpfen Heulen des Winds.
    Florence öffnete die Tür etwas weiter und fand heraus, woher das Licht kam: von einem Feuer, dessen Flammen in einem großen steinernen Kamin tanzten. Ihr Blick glitt zur Seite, huschte über die Wände des Zimmers und fand niemanden.
    Florence trat durch die Tür und drückte sie vorsichtig hinter sich zu.
    Ein großer, ovaler Tisch aus dunklem Holz stand in der Mitte des Zimmers, mit sechs Stühlen, einer davon nach hinten gerückt. Auf einem großen Teller vor dem fortgerückten Stuhl lagen Brot, Käse und Wurstscheiben, und der Becher daneben verströmte den Duft von … Kaffee?
    Florence näherte sich langsam, und plötzlich knurrte ihr der Magen. Eine Falle, erinnerte sie sich. Dein Spiegelbild hat von einer Falle gesprochen.
    Sie sah sich erneut um. Es gab nur eine Tür, die Zugang zu diesem Raum gewährte, und die Fenster auf der anderen Seite waren verhüllt. Sie sah hinter den Vorhängen nach, warf auch einen Blick in den Hof – von dort aus hatte sie kurz den flackernden Schein des Feuers gesehen, bevor jemand den Vorhang zugezogen hatte.
    Vom Kamin ging angenehme Wärme aus, und der Duft von frischem Brot und Kaffee war zu verlockend. Florence ging zum Tisch, trank einen Schluck, nahm einen Bissen … Fünf Minuten später war der Teller leer, und sie saß, den Becher in der Hand, in einem der beiden Sessel vor dem

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