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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Kamin, die Jacke geöffnet und den Kopf an der Rückenlehne. Gedanken zogen ihr durch den Kopf, aber sie versuchte nicht, sie festzuhalten, ließ sie treiben. Von Fallen wisperten sie, vom Seelenfänger und von Zacharias, der im Turm der Ruinenstadt auf Hilfe wartete. Ein Gedanke galt dem Ereigniswinkel; er war wichtig genug, dass Florence ihn kurz in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit rückte und sich fragte, wie groß der Zeitunterschied zwischen ihrem Space und dem von Zach war. Der Seelenfänger war ihm auf den Fersen, und sie musste zu ihm zurück, ihm helfen. Gleich, sagte ein anderer Gedanke. Lass sie noch einen Moment sitzen. Sie hat viel hinter sich. Lass sie den Rest Kaffee trinken und ein wenig ausruhen. Dann erinnern wir sie daran, dass sie aufstehen und die Suche fortsetzen muss.
    Florence stellte den Becher auf den kleinen Beistelltisch zwischen den beiden Sesseln, lehnte sich erneut zurück und lauschte dem Knistern des Feuers.
    Ihr fielen die Augen zu.
    Irgendjemand stieß sie an, und eine Stimme sagte: »Machen Sie keine falsche Bewegung, wenn Sie am Leben bleiben wollen.«
    Der Mann war klein und drahtig, und Florence erschrak nicht nur wegen der Waffe, die er in den schmalen Händen hielt und auf sie richtete. Sie erschrak vor allem, weil sie für einen Moment glaubte, es mit Salomo zu tun zu haben, denn auch dieser Mann hatte einen recht großen Kopf auf einem auffallend dünnen Hals. Aber es fehlte die Narbe unter dem Auge, und der Blick des Fremden wirkte nicht annähernd so hypnotisch wie der des Seelenfängers. Er trug einen dunklen Overall, von dem an manchen Stellen, wo das Glühen des heruntergebrannten Kaminfeuers sie erreichte, ein sonderbares Schimmern ausging, und dann schien der Stoff an den betreffenden Stellen – und mit ihm das, was er bedeckte – zu verschwinden. Wie ein Chamäleon, dachte Florence. Ein Chamäleon-Anzug.
    Sie sah den kleinen Mann an, schwieg und rührte sich nicht. Die Waffe, die er auf sie gerichtet hielt, ähnelte einer Armbrust und wies an den Seiten metallene Beschläge mit Leuchtdioden auf. Ein leises Summen ging von dem Apparat aus. Was passiert, wenn ich hier sterbe, fragte sich Florence, und ein oder zwei verrückte Sekunden lang spielte sie mit dem Gedanken, den Fremden anzugreifen, damit er sie erschoss, in der Hoffnung, dass sie dadurch in der Foundation – in der richtigen Foundation – erwachte. Aber spätestens seit den Ereignissen in den Ruinen von Sea City wusste Florence, dass sie sich nicht in einem gewöhnlichen Space befand. Zachs Verletzung fiel ihr ein, der entzündete Kratzer auf dem Handrücken, der nicht heilen wollte. Sie beschloss, kein Risiko einzugehen und sich zunächst zu fügen.
    »Ich nehme an, ich habe Sie gesehen«, sagte sie sanft, als der Mann einfach nur dastand und sie anstarrte. »Im Gang, kurz nach meinem Erscheinen im Raum mit dem Buch, und dann vom Hof aus, als ich zum Hauptgebäude wollte.«
    »Das verdammte Buch!«, zischte der Mann. »Haben Sie es dorthin gelegt?«
    »Ich?«, fragte Florence verdutzt.
    »Sie haben mit dem Buch gesprochen! Ich hab’s gehört!« Die Armbrust-Waffe zitterte, und ihr Summen schien ein wenig lauter zu werden.
    Er ist verrückt, dachte Florence mit neuer Sorge. Ich bin an einen Wahnsinnigen geraten.
    »Es hat für mich geschrieben«, sagte sie und versuchte, ganz ruhig und vernünftig zu sprechen. »Worte erschienen in dem Buch, und zuerst habe ich gesprochen, weil ich dachte, dass es darauf reagiert. Aber gesprochene Worte sind für das Buch bedeutungslos. Daraufhin habe ich den Federkiel genommen und geschrieben.«
    »Machen Sie mir nichts vor!«
    »Es hat mich nach einer ›magischen Formel‹ gefragt.«
    »Und wie lautet sie? Heraus damit!«
    »Ich weiß es nicht.«
    Der kleine Mann trat einen Schritt vor und hielt ihr die Armbrust direkt vors Gesicht, so nahe, dass Florence den stechenden Geruch von Ozon wahrnahm. Die Leuchtdioden an den Seiten blinkten.
    »Wie lautet die verdammte Formel?«
    »Wäre ich hier, wenn ich es wüsste?«, erwiderte Florence. »Das Buch fragte mich nach der magischen Formel, ich wusste sie nicht, Käfer kamen aus den Wänden, und ich musste fliehen. Das wissen Sie, wenn Sie mich beobachtet haben. Es war ziemlich knapp. Fast wäre ich in der immer schmaler werdenden Öffnung stecken geblieben und zerquetscht worden.«
    Es piepte, und der kleine Mann berührte ein Instrument, das er am rechten Handgelenk trug. Es war nicht an einem Armband befestigt,

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