Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
einer gedanklichen Anweisung an das Interface-Äquivalent. Nichts veränderte sich. Die weiße Tür blieb geschlossen, und es nützte auch nichts, mit den Fäusten daraufzutrommeln und die Fingernägel in die Fugen zu bohren.
    Sie kehrte zum Pult zurück.
    Solche Versuche nützen nichts , schrieb das Buch mit dem leisen Kratzen des unsichtbaren Stifts. Du verlierst nur kostbare Zeit.
    Florence sah zum Torbogen, der noch etwas schmaler und noch etwas niedriger geworden war. Und die schwarzen Knoten an den dunklen Linien in den Wänden … Kleine Käfer krochen aus ihnen.
    »Was bedeutet dies?«, fragte sie.
    Ich warte, verkündete das Buch.
    Florence nahm den Federkiel und schrieb unter die letzten Worte auf der linken Seite: Was bedeutet dies?
    Es bedeutet, dass du bald in diesem Raum gefangen sein wirst, wenn du mir nicht die magische Formel nennst. Der Torbogen schließt sich, siehst du das nicht?
    Eine magische Formel, schrieb Florence mit dem Federkiel. Ihre Schriftzeichen wurden immer krakeliger. Welche magische Formel soll ich dir nennen?
    Du sollst sie mir nennen, Teuerste, nicht ich dir . Übrigens bleiben dir noch etwa dreißig Sekunden, wenn du nicht von den Käfern gefressen werden willst. Genau das wird mit dir passieren, wenn du diesen Raum nicht rechtzeitig verlässt.
    Und wenn ich dir die mF nicht nennen kann?, schrieb Florence hastig und beobachtete, wie die ersten schwarzen Käfer von den Wänden krochen und über den Boden krabbelten. Zuerst schienen sie nicht zu wissen, in welche Richtung sie sich wenden sollten, aber dann nahmen sie alle gleichzeitig Kurs auf das steinerne Pult.
    In dem Fall kann ich dir nicht helfen.
    Sie zögerte, und zwei oder drei wertvolle Sekunden verstrichen. Der Torbogen war nur noch eine schmale Öffnung in der Wand, und es gab keinen anderen Ausgang, von der weißen Tür, die sich nicht mehr öffnen ließ, und den Fenstern abgesehen.
    Bitte, schrieb sie.
    Falsch, tut mir leid.
    Florence ließ den Federkiel fallen und lief los. Für einen Moment befürchtete sie, in dem Spalt – viel mehr war es nicht – stecken zu bleiben und von den näher rückenden grauen Steinen zerquetscht zu werden. Sie atmete aus, machte sich so dünn wie möglich, zog sich in den dunklen Korridor und blieb auf kaltem Stein liegen, ihr Atem eine dünne grauweiße Fahne vor den Lippen.
    Die Lücke zwischen den beiden Mauerhälften schrumpfte und schloss sich mit einem letzten Knirschen, dem Stille und kalte Finsternis folgten.
    Etwas biss sie ins Bein.
    Florence schlug danach und hörte ein Knacken, als ihre Hand auf einen schwarzen Käfer traf, der offenbar mit ihr durch den Spalt gekrochen und dabei auf mindestens die dreifache Größe von ursprünglich etwa einem Zentimeter gewachsen war. Der Rückenschild des Insekts zerbrach, und ein ätzende, auf der Haut brennende Flüssigkeit drang daraus hervor. Florence schnitt eine Grimasse und wischte die Hand so gut es ging am Boden ab.
    Dann stand sie vorsichtig auf, die Augen weit geöffnet, um das wenige Licht einzufangen, das vom anderen Ende des Korridors kam. Sie betastete die Wand, durch die sie eben gekrochen war, und fand nicht den kleinsten Riss, nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es dort eine Öffnung gegeben hatte.
    Eine Zeit lang stand sie da, vielleicht eine Minute, die Stirn an die Mauer gelehnt, ratlos und verwirrt. Die weiße Tür … Sie war der Übergang, der sie hierhergebracht hatte, und ohne den Torbogen gab es keinen Zugang mehr zu ihr.
    Langsam kroch die Kälte in ihren Leib, und Florence begann zu zittern. Es war besser, in Bewegung zu bleiben, dachte sie, schritt durch den dunklen Gang und machte sich daran, die vom Sturm umtoste Festung zu erkunden.

20
    F lorence trug nicht die Kleidung, in der sie die Foundation – die andere Foundation – verlassen hatte, sondern nur einen Kittel, grau wie die Mauern, der sie an ein Büßergewand erinnerte und kaum vor der Kälte schützte, aber sie hatte Glück: Die Treppe am Ende des dunklen Korridors brachte sie in die nächste Etage der Festung, und im zweiten Zimmer, das sie dort betrat, fand sie einen gut gefüllten Kleiderschrank.
    Er stand in einem seit langer Zeit nicht mehr benutzten Schlafgemach – eine dicke Staubschicht bedeckte Kommode und Spiegel, und auf den klammen Bettlaken hatten sich Schimmelflecken gebildet. Die Kleidungsstücke im Schrank rochen muffig, aber daran störte sich Florence nicht. Sie wählte eine dicke Flanellhose, die ihr ein wenig zu groß

Weitere Kostenlose Bücher