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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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sprechen Sie?«
    »Vom Seelenfänger, verdammt! Aber mich kriegt er nicht, klar? Sie werden jetzt die Schwelle für mich öffnen. Das mit der richtigen Phase sollte kein Problem sein.« Mit der freien Hand berührte er ein Instrument am Gürtel seines Overalls, und Florence vernahm ein kurzes Zirpen.
    Gefolgt von einem leisen Knirschen, im Heulen des Sturms jenseits der drei schmalen, hohen Fenster kaum zu hören.
    Der Zugang begann sich wieder zu schließen.
    »Ich bin auf der Flucht vor dem Seelenfänger«, sagte Florence mit Nachdruck. »Und die Falle hat mich ebenso erwischt wie Sie. Der Zugang schließt sich. Lassen Sie mich zum Buch. Vielleicht …«
    Sie wartete keine Antwort ab; die Zeit war zu knapp. Mit einigen schnellen Schritten war sie beim steinernen Pult und las: Ihr seid zu zweit. Zwei Personen denken mehr als eine, deshalb lasse ich euch weniger Zeit. Nenn mir die magische Formel.
    Florence achtete nicht auf den kleinen Mann, der ihr zum Pult folgte, die Waffe noch immer auf sie gerichtet. Sie nahm den Federkiel, setzte ihn aufs Papier und schrieb ohne Tinte: Bitte öffne die weiße Tür für uns. Wir möchten diesen Ort verlassen.
    »Was schreiben Sie da?«, fragte der Mann misstrauisch. »Ich sehe überhaupt nichts!«
    »Lesen Sie, was das Buch schreibt.«
    Worte erschienen, begleitet vom Kratzen eines unsichtbaren Stifts. Tut mir leid. Auch das sind nicht die richtigen Worte. Nun, vielleicht reicht die Zeit noch für einen weiteren Versuch, wenn du dich beeilst.
    Dunkle Linien waren bereits in den Wänden entstanden, und es zeigten sich schon die ersten Knoten, aus denen gleich hungrige Käfer kriechen würden. Der breite offene Torbogen wurde schmaler.
    »Ich schieße!«, rief der kleine Mann. »Ich schwöre, dass ich Sie erschieße, wenn Sie nicht sofort die Phasenschwelle öffnen!«
    Florence achtete nicht auf ihn und ließ den Federkiel unter den gerade erschienen Worten über das alte, vergilbte Papier kratzen. Was bedeutet dies alles? Wer bist du?
    Wer ich bin? , antwortete das Buch. Du dummes Kind, ich bin das Buch, siehst du das nicht? Und siehst du nicht die Käfer, die aus den Wänden kommen, und das Tor, das sich wieder schließt? Willst du bei mir bleiben und sterben, törichtes Mädchen?
    Das Summen der Armbrust wurde lauter. »Verdammt, Sie wollen es nicht anders!«, zischte der Mann.
    Jetzt, dachte Florence.
    Sie wirbelte herum, duckte sich halb zur Seite und stieß die Waffe des kleinen Mannes mit der linken Hand nach oben. Ein Schuss löste sich aus ihr, aber nicht mit einem Knall, sondern mit einem kurzen, bellenden Fauchen, das einen Blitz gegen die Decke schleuderte. Plötzlich regnete es heiße Steinsplitter.
    Florence lief bereits, sprang über einige Käfer hinweg, die vielleicht den Weg für all die anderen erkundeten, warf sich in die bereits recht schmal gewordene Öffnung und hechtete hindurch. Im Flur kroch sie sofort zur Seite, um hinter einer der beiden Wände in Deckung zu gehen, falls der Fremde noch einmal schoss.
    Aber der kleine Mann schoss nicht, sondern fluchte, als er sich durch den Spalt zwängte. »Helfen Sie mir, verdammt!«, knurrte er. »Helfen Sie mir!«
    Florence zögerte nur einen Sekundenbruchteil, ergriff dann die Hand, die er ihr entgegenstreckte, und zog. Der Mann rutschte durch die Öffnung, schüttelte zwei schwarze Käfer von seinem Bein ab und schien erst dann zu bemerken, dass beide Hände leer waren. Erschrocken wandte er sich um und blickte durch den Spalt. »Meine Waffe«, ächzte er. »Ich habe meine Waffe zurückgelassen.«
    »Umso besser«, sagte Florence und stand auf. Dann sah sie die Verzweiflung im Gesicht des Mannes, und trotz allem regte sich fast so etwas wie Mitgefühl in ihr. »Sie können sie in sieben Stunden holen, wenn sich der Raum erneut öffnet.«
    Der Fremde erhob sich ebenfalls, schüttelte den Kopf und zertrat die beiden Käfer. »Sie verstehen nicht. Alles verschwindet aus dem Raum. Er reinigt sich gewissermaßen, bei jedem Zyklus. Meine Waffe wird ebenso verschwinden wie die beiden Männer, die ich vor zwei Monaten damit erschossen habe.«

21
    S ie hatten es auf mich abgesehen«, sagte der kleine Mann, der angeblich Benedict hieß – diesen Namen hatte er Florence genannt – und inzwischen nicht mehr so aggressiv klang. Er meinte die beiden Männer, die er erschossen hatte. »Sie waren gekommen, um mich zu holen.«
    »So wie ich?«, fragte Florence mit leisem Spott.
    Benedicts Verhalten hatte sich geändert; er

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