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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Wie lange liegst du schon hier, und was hat es mit der Festung auf sich?«
    »Die Phasenschwelle!«, zischte Benedict und deutete zur weißen Tür, als wüsste Florence nicht, was er meinte. »Das Buch soll die Schwelle für uns öffnen!«
    Florence hob die Hand, hörte das Kratzen und las die Worte, die sich auf der rechten Seite des Buches bildeten.
    Ich bin ein Wächter und Sicherheitsmechanismus , lauteten sie. Er hat mich hierhergebracht, hier installiert , wie er sagte. Salomo. Er gab mir die Aufgabe, alle Reisenden festzuhalten, die sich hierherverirrten, und ihn zu benachrichtigen. Aber dann kam der Andere und hat mich … verändert, mich und die Aufgabe. Seltsam, ich erinnere mich nicht genau. Vielleicht … sollte ich mich noch einmal lesen, um mein Gedächtnis aufzufrischen.
    Die Blätter des großen Buches gerieten in Bewegung, wie vom Wind erfasst, der noch immer draußen heulte. Sie raschelten und knisterten, flatterten rasend schnell von links nach rechts, zum Anfang des Buches, und dann wieder zurück zur Mitte.
    »Ein Buch, das sich selbst liest?«, fragte Benedict.
    »Ich frage mich, wer ›der Andere‹ ist«, sagte Florence leise. Als die Blätter etwa eine halbe Minute später wieder zur Ruhe kamen, setzte sie den Federkiel unter die letzten Worte des Buches und schrieb: Wer ist der Andere?
    Ich weiß es nicht. Bedauere, ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht habe ich es einmal gewusst, da bin ich mir ziemlich sicher, aber ich scheine es vergessen zu haben. Um ganz ehrlich zu sein: Es ist mir ein bisschen peinlich. ABER …
    Es erschienen keine weiteren Worte.
    »Ja?«, fragte Florence, und der Federkiel kratzte übers Papier.
    Einige weitere Sekunden verstrichen, bevor sich neue Worte bildeten.
    Ich habe Salomo benachrichtigt. Mir ist gerade wieder eingefallen, wie man das macht. Er wird jemanden schicken, nehme ich an. Bald. Oder er kommt selbst.
    »Was?«, fragte Benedict.
    Wie lange ich schon hier liege, möchtest du wissen? Tausend Jahre. Oder vielleicht nur ein oder zwei. Ich weiß es nicht. Welche Rolle spielt Zeit für ein Buch? Der Andere hat mir auch die Erinnerung daran genommen. Ich meine, er hat mir nicht direkt die Erinnerungen genommen, aber etwas mit mir angestellt, das mein Gedächtnis durcheinanderbrachte. Und die Festung … Sie entstand erst nach seinem Besuch. Vorher gab es hier nur ein kleines Haus, in dem ich die Reisenden festhalten sollte.
    »Wer ist der Andere?«, schrieb Florence schnell.
    Das Buch schien eigenen Gedanken nachzuhängen. Und es gab keinen Sturm. Und auch keine magische Formel. Wie seltsam. Jetzt fällt es mir wieder ein. Der Andere, er hat das mit der Formel hinzugefügt.
    Florences Federkiel kratzte. »Ich will wissen, wer der Andere ist.«
    »Die Phasenschwelle!«, stieß Benedict hervor und hielt den pistolenartigen improvisierten Schneidebrenner so, als wollte er damit auf Florence schießen. »Nur die Phasenschwelle ist wichtig. Ich will endlich weg von hier!«
    Er hat mir keinen Namen genannt, der Andere.
    Die rechte Seite war voll, und das Buch blätterte um. Zwei leere Seiten lagen vor Florence, aber weder rechts noch links erschienen Worte.
    »Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Salomo hierher unterwegs«, sagte sie. »Oder er schickt jemanden.«
    Benedict war zur weißen Tür geeilt und betastete sie, wie auf der Suche nach einem verborgenen Öffnungsmechanismus. »Ein Grund mehr, von hier zu verschwinden!«, rief er. Einige schnelle Schritte brachten ihn zum steinernen Pult zurück, und er richtete den Brenner auf das Buch. »Öffne die verdammte Phasenschwelle, und zwar sofort !«
    »Jemand war hier und hat die vom Seelenfänger eingerichtete Falle verändert«, sagte Florence nachdenklich. Für einen Moment spürte sie Distanziertheit, geschaffen von ihren Gedanken, wie bei einer Reise mit Zach, wenn sie sich auf das Interface-Äquivalent konzentrierte, Daten sammelte und an Lily weitergab. Zach …
    Die Frage, die sie vorher beiseitegeschoben hatte, rückte wieder nach vorn.
    »Du erinnerst dich wieder und stehst mit Salomo in Verbindung, ja?«, schrieb sie und sprach die Worte für Benedicts Ohren laut aus, obwohl er ganz etwas anderes hören wollte.
    Ja.
    »Kannst du mir sagen, wo Zach ist? Ich meine, Zacharias. Ich bin mit ihm unterwegs gewesen …«
    »Das ist doch Schwachsinn!«, entfuhr es Benedict. »Woher soll das verdammte Buch wissen …«
    Ich weiß , antwortete das Buch. Ich könnte dir

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