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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Schatten von mir, zurückgelassen in Salomos Falle, und nicht nur in dieser. Dumm im Sinne von: ohne eigene Intelligenz.«
    Florence bemerkte es jetzt: Die Gestalt war durchsichtig. Wenn sie sich darauf konzentrierte, konnte sie die Brüstung hinter dem alten Mann sehen.
    »Der dumme Avatar eines dummen Mannes, der einmal Gott gewesen ist und es vielleicht wieder sein kann, wer weiß?«, fuhr der Mann fort. »Früher habe ich viel gewusst, und wenn ich noch immer über jenes Wissen verfügen könnte, wäre nicht nur ich klüger, sondern auch mein Avatar. Wie dem auch sei, Sie sehen mich hier am Transferort, weil Sie eine Frage gestellt haben, die mein Residualprogramm als wichtig genug eingestuft hat, um diesen Avatar zu aktivieren. Die Frage lautete …« Der Alte neigte den Kopf zur Seite und sagte mit Florences Stimme: »Kannst du mir sagen, wo Zach ist? Ich meine, Zacharias. Ich bin mit ihm unterwegs gewesen …«
    Aus dem Augenwinkel sah Florence, dass Benedict noch immer mit offenem Mund dastand, wie auch im grauen Zimmer.
    »Zacharias befindet sich in Prisma«, sagte der Alte mit seiner eigenen Stimme, die ein wenig monoton klang. »Und ich erlaube mir den Hinweis: Salomo ist hierher unterwegs. Ich musste ihn benachrichtigen. Ich meine: Die Falle, von der dieses Programm ein Teil geworden ist, musste ihn benachrichtigen.«
    Der Alte mit dem weißen Haar und dem langen Bart breitete die Arme aus. »Ich wünschte, ich könnte euch besser helfen, aber leider weiß dieser Avatar nicht, wie er das anstellen soll. Ich fürchte, ihr müsst allein zurechtkommen.« Er winkte und verschwand.
    Florence hörte ein leises Knistern und sah sich erschrocken um, denn sie befürchtete plötzlich, dass die Käfer zurückkehrten. Dann bemerkte sie, dass die schmale weiße Tür zu zittern begonnen hatte – sie vibrierte in den Angeln.
    »Immer wieder habe ich tagelang in den Wahrheitszentren von Lassonde gesessen«, sagte Benedict leise und starrte dorthin, wo die Gestalt im cremefarbenen Gewand gestanden hatte. In der einen Hand hielt er noch immer den Brenner. »Vor einigen Jahren habe ich mehrere Wochen im Zentrum des Symposiums verbracht, immer in der Hoffnung, einen von ihnen zu sehen. Dass mein Wunsch ausgerechnet hier in Erfüllung gehen sollte …«
    »Wen meinen Sie?«
    Benedict blinzelte. »Die Visionäre. Die Stimmen, die uns die Wahrheit sagen. Er muss einer von ihnen gewesen sein. Einige Orakel haben sie beschrieben und Bilder von ihnen angefertigt. Ich …«
    »Können Sie uns nach Prisma bringen?« Florence eilte zur Tür und hörte, wie das Knistern lauter wurde. »Sie sind ein Legat, ein Traveller. Können Sie mich zu Zacharias bringen?«
    »Wenn ich das könnte, hätten wir dem Seelenfänger längst das Handwerk gelegt«, erwiderte der kleine Mann. »Wir wissen nicht, wo sich Prisma befindet. Bisher ist es Salomo gelungen, seinen Schlupfwinkel geheim zu halten. Protektor sucht seit Jahren danach, bisher vergeblich. Aber vielleicht …« Benedict richtete einen nachdenklich und auch hoffnungsvollen Blick auf Florence, streckte dann die Hand nach dem Knauf aus, drehte ihn und öffnete die Tür. Ein schwarzes Rechteck erwartete sie, dunkel wie eine mondlose Nacht. Und doch glaubte Florence zu sehen, wie sich in der Ferne etwas bewegte, ein Schatten noch schwärzer als das Schwarz, wenn das möglich war.
    Der Seelenfänger, dachte sie.
    Benedict stand vor der offenen Tür, zog ein kleines Gerät aus der Tasche seines Overalls und hielt es an das Instrument, das mit seinem Handgelenk verwachsen war. Den improvisierten Schneidbrenner hatte er fallen lassen.
    »Was machen Sie da?«, fragte Florence.
    »Ich nehme eine Peilung vor und stelle fest, wo wir sind.«
    Eine Art Ping, dachte Florence. »Er ist unterwegs«, sagte sie. »Er ist gleich da …« Es bestand kein Zweifel, wen sie mit »er« meinte.
    Ein Piepen erklang. »Ich hab’s«, sagte Benedict und ergriff Florences Hand. »Es geht nach Hause.«
    Für dich, dachte Florence. Aber nicht für mich.
    Benedict zog sie durch die Tür, und Dunkelheit umfing sie.

Vom Himmel gefallen
    M oses Vandenbrecht hatte seit zwei Tagen nicht geschlafen, fand aber selbst dann keine Ruhe, wenn er lag und die Augen schloss. Das Summen des Flugzeugs, sonst eine sanfte, beruhigende Melodie, war wie der Grundton des Unheils, von dem ihm der Ampli erzählte, wenn er ihn aufsetzte. Er betrachtete das Gerät, das aussah wie ein schmaler Kopfhörer, wusste um die Stimmen und Bilder darin

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