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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Kind, sofort!
    Florence schrieb: Wer ist hier dumm? Und sie fragte, ohne zur Seite zu blicken: »Wie kommst du voran?«
    »Nicht so schnell, wie wir dachten. Die Flamme ist nicht heiß genug.«
    »Mach sie heißer,«
    »Wenn das so einfach wäre.« Benedict drehte an den Einstellungen des kleinen Geräts.
    Ihr durchtrennt die Kette , schrieb das Buch. Ihr wollt mich wegbringen.
    Gut erkannt, antwortete Florence mit dem Federkiel.
    Das kann ich nicht zulassen. Dies ist mein Ort; ich gehöre hierher.
    Sag uns, wie man die weiße Tür öffnet, schrieb Florence. Oder öffne sie für uns.
    Das kann ich nur, wenn du mir die magische Formel nennst. Das habe ich dir doch schon gesagt. Bist du nicht nur dumm, Kind, sondern auch vergesslich?
    Florence sah mit plötzlichem Ärger auf die Worte hinab. Öffne die verdammte weiße Tür!, schrieb sie.
    Bedauere, die Formel lautet anders. Und ich kann nicht erlauben, dass ihr mich wegbringt.
    Es knirschte, und ein Blick zur Seite bestätigte Florences Befürchtungen: Das Tor begann sich zu schließen. Außerdem bildeten sich wieder schwarze Linien in den Wänden.
    »Du solltest dich besser beeilen, Benedict«, sagte Florence.
    »Ich mache so schnell ich kann.« Es zischte, und dem Zischen folgte ein Klirren. »Die erste Kette hätten wir. Jetzt die zweite.«
    Dunkle Knoten entstanden an den schwarzen Linien in den Wänden, und Florence glaubte bereits, das Knistern von krabbelnden Insekten zu hören.
    Warum verlangst du eine »magische Formel«?, schrieb sie mit dem Federkiel, so schnell und hastig, dass sie Mühe hatte, die eigene Schrift zu lesen. Wer hat dich hier festgekettet?
    Ich werde keine Fragen mehr beantworten, nicht eine einzige , antwortete das Buch trotzig. Ihr habt es nicht anders verdient.
    In einer neuen Zeile erschienen die Worte: Wenn ihr diesen Raum nicht sofort verlasst, fressen euch die Käfer.
    »Verdammt, verdammt«, fluchte Benedict. »Die zweite Kette ist dicker, und das Metall scheint härter zu sein. Oder es liegt an der Resistenz, was weiß ich.« Er hob das kleine improvisierte Gerät, zog etwas heraus, das nach einer langen Patrone aussah, und ersetzte sie durch eine andere. »Die letzte Energiezelle«, erklärte er. »Hoffentlich genügt sie.«
    Florence sah sich um. Ihnen blieben vielleicht noch zwanzig Sekunden: Das Tor war bereits kein Tor mehr, sondern nur noch eine Öffnung in der Wand, die immer schmaler wurde, und erste Käfer krochen aus den dunklen Nest-Knoten in den grauen Wänden, noch orientierungslos und ohne ein Ziel. Sie starrte hinab auf die seltsamen Worte des Buches und ihre eigenen krakeligen, kaum zu entziffern, geschrieben ohne Tinte und doch als vage Schatten zu erkennen. Erneut setzte sie den Federkiel an.
    Ich gebe dir eine letzte Chance, teilte sie dem Buch mit. Öffne die weiße Tür für uns.
    Und wenn nicht?
    Florences Blick huschte zum Ausgang. Die Öffnung war bereits sehr schmal, nur etwas mehr als ein Spalt. Und die aus den Wänden kriechenden Kiefer verloren ihre Orientierungslosigkeit und krabbelten zum steinern Pult in der Mitte des Raums.
    Entweder geben wir jetzt auf und verschwinden von hier, solange wir noch können, oder wir setzen alles auf eine Karte, dachte sie.
    »Hören Sie auf«, sagte Florence.
    »Was?«
    »Hören Sie auf, Benedict. Es hat keinen Sinn. Uns bleibt nicht genug Zeit, auch die zweite Kette zu durchtrennen. Und wir brauchen die Energie der Kapsel.«
    Der kleine Mann erschrak, als er sah, wie klein die Öffnung in der Wand geworden war. »Wir müssen weg!«
    Er wollte loslaufen, aber Florence hielt ihn fest. Hier und dort flackerte und schimmerte sein Chamäleon-Anzug, als Benedict versuchte, sich ihrem festen Griff zu entwinden und den Spalt in der knirschenden Wand zu erreichen.
    »Von wegen«, sagte Florence. »Ich brauche Sie hier.«
    Und schon wenige Sekunden später war es zu spät. Die Öffnung in der Wand wurde so schmal, dass kein Mensch mehr hindurchgepasst hätte, und dann schloss sie sich ganz.
    »Wir sind erledigt«, sagte Benedict entsetzt und wich den Käfern aus.
    »Halten Sie mir die Viecher vom Leib.« Florence nahm den Federkiel. »Nur für ein paar Sekunden. Entweder klappt dies, oder wir sind tatsächlich erledigt.«
    Benedict begann mit einem seltsamen Tanz, der ihn rings um den steinernen Sockel führte, scharrte dabei mit den Füßen über den Boden und stieß die Käfer zurück. Ein bedrohliches Knistern lag in der Luft, fast so laut wie das Heulen des Sturms jenseits

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