Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Balkonen, und zu versuchen, einzelne Stimmen aus dem Flüstern herauszufiltern und zu verstehen. Doch nach einer Weile stellte sie fest, dass sie nicht wie viele andere an der Brüstung stehen geblieben war. Ihre Beine trugen sie weiter durch die Menge der vielen Besucher, dem Licht entgegen, das rechts durch einen breiten Durchgang strömte. Und plötzlich begriff sie, dass sie gar nicht warten wollte, dass sie ein Ziel hatte: das Wahrheitszentrum neben den vier Türmen des Symposiums.

Container
    H aben Sie mir alles gesagt?«, fragte Rasmussen.
    Thorpe lächelte sein routiniertes Lächeln. »Aber natürlich, mein lieber Jonas. Sie kennen die ganze Geschichte. Und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.« Es war seltsam, fand er. Jemand anders schien seinen Mund zu benutzen und die Worte zu sprechen. Das Tetranol drängte die absurden Gedanken zurück, aber er schien seinen Körper mit jemandem zu teilen, der gelegentlich die Kontrolle übernahm.
    Sie sprachen leise, doch Thorpe glaubte zu sehen, wie die streitlustige Helen die Ohren spitzte. Techniker eilten durch den Aufenthaltsraum, den sie in eine Art Laboratorium verwandelt hatten, legten letzte Kabel aus und verbanden die Interface-Sessel miteinander. Ärzte und Krankenschwestern rollten die Betten von Zacharias, Florence und Teneker herein. Anderson und Agnes kümmerten sich um die komatösen Traveller, während sich Eugène an Rasmussen wandte und sagte: »Nur noch ein Wunder kann Teneker helfen, und bei Zacharias sieht es fast ebenso schlimm aus. Florence geht es ein wenig besser, aber auch ihr Zustand ist kritisch.«
    »Wir sind hier, um dafür zu sorgen, dass das Wunder geschieht«, sagte Thorpe zuversichtlich. In ihm war alles bereit; der Traum wartete.
    Das Bett mit dem Patienten Haruko Isamu Abe stand neben den Fenstern an der Wand, mit dem Hauptanschluss der Interface-Systeme verbunden. Nathan Fukuroku stand neben ihm, begleitet von mehreren Konzernpolizisten, die versuchten, niemandem im Wege zu sein. Thorpes Blick glitt kurz zu Fukuroku, der natürlich Bescheid wusste, sich aber nichts anmerken ließ.
    »Wo ist mein Platz?«, fragte er, streckte dann die Hand aus und deutete auf den Sessel in der Nähe von Zacharias und Florence. »Ich setze mich dorthin.«
    Er wollte losgehen, aber Rasmussen hielt ihn am Arm fest. »Thorpe …«
    »Ja?« Die letzten Traveller und Therapeuten kamen herein, und das medizinische Personal verteilte Tetranol. Thorpe schluckte und sehnte sich nach einer weiteren Dosis. Vielleicht konnte er nachher noch eine bekommen, wenn er die Foundation verließ.
    »Wenn Sie mir irgendetwas verschwiegen haben, Thorpe …«, zischte Rasmussen. »Ich werde Sie dafür zur Rechenschaft ziehen.«
    Der Mann wurde ihm allmählich lästig. Trotzdem lächelte Thorpe, wenn auch vielleicht etwas mühsamer als zuvor, und deutete auf die Techniker, die letzte Verbindungen herstellten.
    »Es sind lokale Systeme, ja? Vergleichbar mit denen in Zachs Rollstuhl, ja?«
    »Nennen Sie ihn nicht Zach«, keifte Helen, die bereits zurückgelehnt saß und Sensoren an den Schläfen trug. »Das darf nur Florence.«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Thorpe, aber vielleicht klang es ein bisschen zu scharf. Er fühlte sich sonderbar, wie innerlich aufgebläht, nicht in seinem physischen Innern, sondern in seiner geistigen Welt. Etwas dehnte sich zwischen den Gedanken aus, schob sie beiseite: der Traum, der Container, ein Behälter, der darauf wartete, gefüllt zu werden.
    »Lily ist ausgeschaltet«, erwiderte Rasmussen. »Das wissen Sie.« Der Direktor der Foundation zog die Stirn kraus. »Stimmt was nicht mit Ihnen? Sie sind blass.«
    Thorpe wandte sich ab und nahm im Interface-Sessel neben dem Rollbett Platz, auf dem Zacharias lag. Er sah sein Profil, ein Gesicht, das bestimmt noch blasser war als seins, von Krankheit gezeichnet, eingefallen und blutleer, wie leblos. Aber es steckte noch Leben in ihm, denn manchmal zuckten seine Lider, als erinnerten sich die Augen daran, dass sie mithilfe der Kamera eines Rollstuhls schreiben konnten, und als wollten sie der Welt etwas mitteilen.
    »Es gefällt mir nicht, dass er dabei ist«, sagte Helen. »Warum muss er dabei sein, Jonas? Und was machen die Leute hier?« Sie zeigte auf Fukuroku und die Konzernpolizisten, deren blaue Uniformen mit dem Weiß des medizinischen Personals kontrastierten.
    Thorpes Blick ging erneut zum Repräsentanten von Samsung-Nippon. Fukuroku blieb ungerührt, ein Mann mit leerer Miene, aber in

Weitere Kostenlose Bücher