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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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gewesen«, sagte sie und löste die Leine, während sich Zacharias den Kontrollen zuwandte. Die beiden Propellermotoren summten im Leerlauf, und ein Hebel kontrollierte offenbar ihre Leistung. Als er ihn betätigte, wurde aus dem Summen ein zorniges Knurren, und die Propeller drehten sich. Das Boot legte ab; Steg und Turm blieben hinter ihnen zurück.
    »Ein was?«, rief Zacharias.
    »Einer der Vögel«, erwiderte Florence. »Sie sind schnell und wendig.«
    Zacharias hörte nur mit halbem Ohr hin, sank auf den Sitz vor den Kontrollen. Warum haben uns die Soldaten nicht angegriffen?, dachte er und zog den Hebel noch etwas weiter nach unten. Das Knurren der Motoren verwandelte sich in ein Fauchen, und die Propeller rotierten noch schneller.
    Er drehte den Kopf, sah zurück und beobachtete, wie sich weitere Luftboote von den Stegen des Turms lösten und aufstiegen. Weil sie uns nicht als Feinde erkannt haben, dachte Zacharias. Weil Salomo ihnen nicht befohlen hat, uns anzugreifen.
    Aber das konnte sich jeden Augenblick ändern.
    So schnell sich die Propeller auch drehten, das Luftboot blieb träge, und die Entfernung zum Turm wuchs nur langsam. Deutlich sah Zacharias eine weißhaarige Gestalt, die bis zum Ende des Stegs eilte, dort verharrte und ein etwa einen Meter langes Rohr hob.
    »Kronenberg!«, rief Florence. »Und er hat einen Raketenwerfer!«
    Die Gestalt mit dem weißen Haar legte sich das dunkle Rohr auf die Schulter und klappte ein Visier hoch.
    Es regnete Feuer, und der obere Teil des Turms mit Plattform, Kuppel und Stegen verschwand hinter einem Vorhang aus Rauch und Flammen, als die Trümmer eines weiter oben explodierten Luftschiffs herabfielen. Die Druckwelle schüttelte das Boot, und Zacharias wäre fast von seinem Sitz gerutscht. Er hielt sich mit einer Hand an der kleinen Kontrollkonsole fest und drückte mit der anderen den Steuerknüppel nach vorn, wodurch sich der Bug des Luftboots nach unten neigte.
    Dort in der Tiefe, zwei oder drei Kilometer unter ihnen, erstreckte sich ein Flickenteppich aus flackernder Glut und grauschwarzer Düsternis. Hier und dort in den dichten Dunstschwaden zeichneten sich die Umrisse gewaltiger Maschinen ab, wie die Rücken stählerner Titanen, doch viele dieser Riesen waren verletzt, entweder durch herabgestürzte Trümmer oder von Bomben, die Salomos Truppen abgeworfen hatten. Flammen leckten aus ihren Wunden, und Rauch stieg auf. Ausgerechnet dieser Rauch war es, der die Verteidiger verriet. Lassondes Soldaten, unter ihnen sicher auch viele Angehörige von Protektor, trugen Kampfanzüge mit Tarnfunktion, und in klarer Luft wären sie vermutlich unsichtbar gewesen oder zumindest nur schwer auszumachen. Doch in den weiten Rauch- und Dunstschleiern, die sich wie ein Leichentuch über Unterstadt gelegt hatten, waren ihre Bewegungen deutlich zu erkennen. Ausgestattet mit individuellen Fluggeräten stiegen sie in Schwärmen auf oder sanken von großen Luftschiffen herab, die in oder sogar über Oberstadt kreuzten, dicht unter den grauen Wolken, durch die blasses, gefiltertes Sonnenlicht drang. Aber sie kamen nicht nahe genug an Salomos Truppen heran, um auch nur versuchen zu können, sie aufzuhalten. Blitze schlugen ihnen entgegen, brachten kleine Flugmaschinen zur Explosion, verbrannten Tarnanzüge, die nicht ausreichend tarnten, und zerfetzten Fleisch und Knochen. Graue Soldaten in Flugbooten brachten sich über den Verteidigern in Position und warfen Splitterbomben, die in unmittelbarer Nähe der aufsteigenden Schwarmformationen detonierten und noch größeren Schaden anrichteten als die Blitze.
    Das alles sah Zacharias – ein gewaltiges Bühnenbild mit einer kolossalen Szene der Vernichtung –, aber seine Aufmerksamkeit galt vor allem Kronenberg, der das auf seiner Schulter ruhende Rohr bewegte und damit dem Ziel folgte. Einem Ziel, das trotz der beiden heulenden Propeller viel zu langsam war und sehr träge auf die Bewegungen von Höhen- und Seitenruder reagierte. Zacharias versuchte, erneut eine Fraktur zu schaffen, wie zuvor auf dem Turm, mit einem Ereigniswinkel, der die Zeit außerhalb der Frakturblase langsamer vergehen ließ. Aber so sehr er sich auch bemühte, es klappte nicht.
    Das Luftboot sank, aber es sank nicht schnell genug, und es befand sich nichts zwischen ihnen und dem vom Turm ausgehenden Steg. Kronenberg hatte freies Schussfeld.
    Das Krachen und Donnern von kleinen und großen Explosionen hallte durch die Mittelstadt von Lassonde, und diese Stimme

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