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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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der Zerstörung war so laut, dass Zacharias das Zischen des Raketenwerfers nicht hörte – es war eine kleine, leise Stimme, übertönt von einer viel größeren und lauteren. Aber er sah die Flamme und den Rauch und wusste, dass er sofort handeln musste, dass ihm nicht einmal mehr eine Sekunde blieb, um nach einer Lösung für das Problem zu suchen. Es würde nichts helfen, sich unter die Reling des Luftbootes zu ducken: Die Explosion der Rakete würde das ganze Boot zerstören, mit allem, was sich darin befand.
    Sie durften nicht mehr an Bord sein, wenn die Rakete einschlug.
    Zacharias wirbelte herum, sprang zu Florence, ergriff sie an beiden Armen und stieß sich ab. Der Zufall half ein wenig, denn genau in diesem Moment schwankte das Luftboot, und die Seite, auf der sich Zacharias und Florence befanden, kippte nach unten. Dadurch fiel es Zacharias leichter, sich selbst und Florence über die Reling zu katapultieren.
    Einen Herzschlag später fielen sie, und es gab nichts, das ihren Sturz in die Tiefe bremste.
    Ein lang gezogener Schrei erklang, wie das Heulen einer nicht sehr weit entfernten Sirene, und für einen Moment dachte Zacharias, dass der Schrei von Florence stammte. Aber sie hatte nur erschrocken die Augen aufgerissen und starrte ihn an, als sie neben ihm fiel, und da merkte Zacharias, dass er selbst es war, der den Schrei ausgestoßen hatte und noch immer ausstieß. Er klappte den Mund zu, und im gleichen Augenblick traf die Rakete über ihnen ihr Ziel und verwandelte das Luftboot und sich selbst in einen Feuerball.
    Sie hatten bereits zwei- oder dreihundert Meter zurückgelegt, aber die Druckwelle holte sie ein und gab ihnen einen Stoß zur Seite. Mehrere Trümmerstücke rasten an ihnen vorbei, eins so nahe, dass Zacharias die Hitze des glühenden Metallfragments spürte.
    »Er hat uns nicht erwischt!«, rief Zacharias und wunderte sich über die eigene Freude. »Kronenberg hat uns nicht erwischt.«
    »Du solltest dir besser etwas einfallen lassen, bevor wir Unterstadt erreichen«, erwiderte Florence, die Augen im Wind zusammengekniffen.
    Blitze zuckten wie Sternschnuppen an ihnen vorbei und trafen Verteidiger, die einem weiteren aufsteigenden Schwarm angehörten. Zacharias und Florence fielen mitten hindurch, plötzlich umgeben von Rauchschwaden und einem Feuerwerk aus Entladungen, platzenden Motoren von Fluggeräten, scharfkantigen Metallsplittern und blutigen Körperteilen, die noch halb in zerrissenen Tarnanzügen steckten. Wie durch ein Wunder blieben Kollisionen aus – Zacharias und Florence fielen durch den Schwarm und befanden sich einige Sekunden später unter ihm.
    » Tu was, Zach!«, rief Florence.
    Zacharias fiel das Atmen so schwer, dass er gar nicht antworten konnte. Es lag nicht nur am heftigen Wind, der ihm die Luft von den Lippen stahl, sondern auch an dem Ammoniak-Gestank, der in Kehle und Lunge brannte. Die Rauchwolken wurden so dicht, dass weder die aufragenden Türme von Mittelstadt zu sehen waren noch die Industrielandschaft von Unterstadt. Aber es dauerte nicht lange, bis der Qualm sich wieder lichtete; einige letzte Schlieren fegten vorbei, und dann erschien ein dunkler Leviathan unter ihnen, ein mindestens dreihundert Meter langes Luftschiff mit Dutzenden von Navigationspropellern, die nach unten bliesen und das gewaltige Schiff aufsteigen ließen. Kleinere Luftboote, offenbar eine Art Geleitschutz, umschwirrten den Riesen, und in den offenen Gondeln bereiteten sich Hunderte von Männer und Frauen auf den Einsatz vor.
    Für einen verrückten Moment spielte Zacharias mit dem Gedanken, auf dem Luftschiff zu landen. Er hielt Florence noch immer an beiden Armen, was zur Folge hatte, dass ihr Fall instabil war, und wegen des geringeren Luftwiderstands schneller als unbedingt nötig. Wenn er sie nur an einer Hand hielt, wenn sie beide Arme und Beine ausbreiteten, sich in eine stabile Lage brachten, die einen höheren Luftwiderstand bedeutete und ihnen die Möglichkeit gab, wie Fallschirmspringer im freien Fall Einfluss auf die Fallrichtung zu nehmen … Dann konnten sie das Luftschiff erreichen, das einige Hundert Meter links von ihnen aufstieg.
    Aber es stieg recht schnell auf, und wie hoch war die Fallgeschwindigkeit von Fallschirmspringern im stabilen Sturz? Etwa zweihundert Stundenkilometer, erinnerte sich Zacharias. Was bedeutete, dass sie mit einer summierten Geschwindigkeit von etwa zweihundertfünfzig Kilometern in der Stunde auf den langgestreckten torpedoförmigen

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