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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Auftriebskörper des Luftschiffes prallen würden. Genug kinetische Energie, um selbst eine Hülle aus Leichtmetall, zum Beispiel Aluminium, zu durchschlagen. Ein ungeschützter Mensch konnte so etwas nicht überleben, und außerdem bestand die Gefahr, dass sie das Luftschiff der Verteidiger von Lassonde schwer beschädigten, vielleicht sogar zum Absturz brachten.
    Und dann war der Moment – die Chance – vorbei, denn sie fielen neben dem aufsteigenden Koloss in die Tiefe. Die Protektor-Kämpfer sahen ihnen hinterher; einige von ihnen streckten die Arme aus und zeigten auf sie.
    Die Stimme der Unterstadt, das Stampfen und Brummen von Maschinen, dröhnte immer lauter zu ihnen herauf. Florence rief erneut etwas, aber Zacharias verstand sie nicht. Er versuchte sich zu konzentrieren, sandte ein Ping aus, das ihm Orientierung ermöglichen und einen Eindruck von der Textur dieser Welt geben sollte. Er brauchte einen Ansatzpunkt, konkrete Vorstellung von einer Stelle, an der er die Kraft seines Willens wie einen Hebel ansetzen konnte, um die wahrgenommene Wirklichkeit zu verändern. Aber sie fielen weiter, ohne langsamer zu werden, obwohl sich Zacharias alle Mühe gab, ihren Sturz mithilfe der Energie seiner Fantasie zu bremsen. Es gelang ihm ebenso wenig wie im Liftschacht des Foundation-Gebäudes.
    Florence begann zu zappeln, gestikulierte mehrmals und versuchte, ihren Flug zu stabilisieren. Erst nach einigen Sekunden begriff Zacharias, worum es ging: Sie wollte dem dunklen Maul ausweichen, das sich unter ihnen geöffnet hatte und sie bereits mit einem Odem aus Rauch empfing. Ein Schlot ragte wie ein riesenhafter Dorn aus dem dunklen Rücken von Unterstadt, Hunderte von Metern hoch, seine Öffnung groß genug, um zumindest ein kleines Luftschiff aufzunehmen. Rauch quoll daraus hervor und begrüßte die Stürzenden mit einem fauligen, schwefligen Gestank. Sie fielen direkt darauf zu, und Florence trachtete danach, sie ein wenig zur Seite zu steuern, damit sie den Schlot verfehlten.
    Es machte kaum einen Unterschied, fand Zacharias. Sie gewannen höchstens einige Sekunden, bis sie an der Basis des Schlotes aufschlugen. Einige Sekunden mehr Leben, und dann … der Tod? Wenn dies die Wirklichkeit war, die einzige wahre, echte Realität, wie die Lassonder angeblich glaubten, so würden sie beide sterben, denn niemand konnte einen solchen Aufprall überleben. Aber dies konnte unmöglich die »einzige wahre Wirklichkeit« sein, wusste Zacharias, denn mit der Fraktur auf dem Turm war es ihm gelungen, die scheinbare Realität zu verändern, sie seinen Wünschen anzupassen. Die Schlussfolgerung lautete, dass dies eine Art von Space war, und im Space konnte man nicht sterben, nur einen schweren Schock erleiden, der einen zur Foundation zurückbrachte.
    An diesem Gedanken klammerte sich Zacharias fest, als sie in den finsteren Schlund des Schlotes fielen, doch er schaffte es nicht, sich selbst zu überzeugen. Nagender Zweifel blieb, und viel zu deutlich erinnerte er sich an Florences Hinweise, wonach die Erde – die ganze Erde, vielleicht sogar das ganze Universum, zu dem sie gehörte – als »Saatwelt« im Space existierte, als eine Welt, die zu dem Zweck erdacht worden war, Traveller wie ihn zu erschaffen.
    »Verdammt, Zach, tu endlich was!«, rief Florence, und ihre Stimme hallte überraschend laut von den Innenwänden des Schlotes wider, auch ihr Husten, das den Worten folgte.
    »Ich versuch’s, aber es klappt nicht!«, erwiderte Zacharias und wunderte sich eine Sekunde später darüber, dass er Antwort geben konnte.
    Der Wind war nicht mehr so stark; sie fielen langsamer.
    »He, es klappt doch !«, rief Zacharias. »Ich hab’s geschafft!«
    Es war still geworden. Das Stampfen und Brummen der Maschinen von Unterstadt, das Zischen und Fauchen von Dampf und Rauch, das Rasseln und Mahlen von Zahnrädern und Wellen – das alles wurde zu einem leisen Summen, wie von einer in der Nähe schwirrenden Hummel.
    »Bist du sicher, mein Junge?«, kam eine Stimme aus der finsteren Stille.

32
    S o sieht man sich wieder«, sagte der alte Mann, der sich Zacharias im Fahrstuhlschacht des Foundation-Gebäudes als Gott vorgestellt hatte. Er sah genauso aus: gehüllt in ein cremefarbenes Gewand, das weiße Haar schulterlang, der bis auf die Brust reichende Bart ebenfalls weiß, wie auch die Brauen. Wie bei ihrer ersten Begegnung saß er im Schneidersitz da, frei schwebend neben den rostigen Sprossen einer Leiter, die etwas weiter oben an

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