Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Spalt zwischen Türrahmen und Wand.
    »Ich weiß nicht, warum jemand so etwas tun sollte«, schnaufte Florence. »Ich weiß nur, dass es dir verdammt schlecht geht.«
    »Wir bringen die Mission zu Ende«, sagte Zacharias.
    Oben schwang die Tür auf, und Licht fiel ins Treppenhaus. Es zeigte die Sorge in Florences Gesicht, und noch etwas anderes, das Zacharias nicht gefiel.
    »Das entscheide ich, Zach«, sagte Florence. »Wenn ich glaube, dass es dir zu schlecht geht, breche ich die Mission ab, ob es dir passt oder nicht. Ich …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, nahm nach kurzem, verwirrtem Zögern das Interface-Äquivalent ab, überprüfte es kurz und steckte es dann wieder ans Ohr. »Ich habe keine Verbindung mehr zu Lily.«
    »Das liegt an der Fraktur.« Zacharias ging die letzten Stufen hoch, dankbar dafür, dass Florence keine Gelegenheit bekam, ihre Drohung wahrzumachen. »Wir haben Tenekers Versteck erreicht.« Er sah nach draußen und fügte hinzu: »Er hat sich seine eigene kleine Welt geschaffen.«
    Gras umgab die Tür, hohes Gras, das sich gelb und grün im leichten Wind bewegte, der von der Hitze der nahen Wüste erzählte. Die Sonne stand dicht über dem Horizont, halb von Wolken verschleiert, und auf der anderen Seite kroch ein ungewöhnlich großer Mond über den Himmel. In der Nähe stand ein Haus aus verwittertem Holz, die Fenster geöffnet, eine Tür hing schief in den Angeln – sie knarrte leise, wenn der Wind sie bewegte. Einige Dutzend Meter hinter dem Haus endete das hohe Gras an einem Hang, der zur Wüste hinabführte, und dort erstreckten sich gelbbraune Dünen, so weit der Blick reichte.
    »Eine Insel des Lebens, vom Nichts umgeben«, sagte Zacharias. »So hat er es sich vorgestellt.« Er drehte den Kopf, als Florence neben ihn trat, und schmunzelte. »Wenn du mich fragst … Er hat es sich nicht gut genug vorgestellt. An seiner Stelle hätte ich dem Versteck einige Schatten spendende Bäume hinzugefügt, und das Haus … Sieh dir nur das Haus an. Eigentlich kaum mehr als eine Hütte. Alt und baufällig.«
    »Zach …«
    Ein vager Schmerz regte sich in Zacharias’ Hinterkopf, aber er achtete nicht darauf, denn abgesehen von dem leichten Stechen fühlte er sich noch immer sehr gut. »Ich meine, welchen Schutz kann ein solches Haus bieten, mit offenen Fenstern und einer Tür, die sich gar nicht mehr schließen lässt? Ich hätte eine Burg gebaut, mit einem tiefem Graben vor den dicken Mauern. He, was hältst du von einem Burggraben mit Krokodilen?«
    »Du faselst, Zach«, sagte Florence mit einem kritischen Blick.
    Der junge Mann, der den schwarzen Wagen gefahren hatte, war zum Haus gegangen und wartete dort neben der Tür. »Tehnehker«, sagte er.
    »Nur ein Scherz, Flo. Ein kleiner Scherz. Darf ich denn nicht mal mehr scherzen?« Zacharias folgte dem Fahrer zum Haus und staunte dabei über die Kraft in seinen Beinen. Wenn er sich geduckt und abgestoßen hätte … Vielleicht wäre er imstande gewesen, bis ganz nach oben zu springen, bis zu der Wolke dort, die direkt über ihm schweb te und wie der Kopf eines Clowns aussah. Aber das war ein dummer Gedanke, fand er, als er etwas genauer darüber nachdachte, ebenso wie die Vorstellung eines Clowns am Himmel.
    Als ihn nur noch zwei Meter vom Haus trennten, trat der junge Mann durch die Tür und sagte: »Tehnehker.«
    »Ja, Kumpel, hab dich verstanden. Wo ist er?«
    »Ich bin … Tehnehker.«
    Du verdammter Idiot!, sagte die Stimme in ihm, und sie war jetzt nicht mehr leise, sondern laut genug, um durch alle Gewölbe seines Bewusstseins zu hallen. Warum hast du nicht auf Florence gehört? Wie ein grinsender Narr bist du in die Falle getappt, und jetzt schnappt sie zu.
    Schnapp.
    In dem Haus, in einem Zimmer halb im Licht und halb im Schatten, stand ein Tisch, und an diesem Tisch saßen mehrere Personen, eine von ihnen, ganz hinten, nur eine dunkle Silhouette. Einer der vorn sitzenden Männer stand auf, und Zacharias erkannte den fremden Traveller, den er in der Stadt auf der anderen Straßenseite gesehen hatte.
    »Danke, Teneker«, sagte dieser Mann, und der Fahrer des schwarzen Wagens nickte. Mit ausdruckslosem Gesicht ging er zum Stuhl in der Ecke und setzte sich.
    »Ich bin Kronenberg«, sagte der Mann und kam so nahe heran, dass Zacharias seinen Geruch wahrnahm. Es war ein muffiger, bitterer Geruch, wie von einem feuchten Keller, der lange Zeit geschlossen gewesen war. Die blauen Augen waren tatsächlich kalt wie Eis, und tief in ihnen

Weitere Kostenlose Bücher