Seelenfänger
wechselten. Einer zeigte das Kriegsschiff im Westen von Sea City, mit einer Rauchfahne über einem Geschützturm, ein anderer einen Bereich beim Hafen, wo offenbar gerade ein Gebäude zerstört worden war. Qualmwolken hingen über der Ruine in der Luft, und Flammen züngelten.
»Es wird auf Sea City geschossen?«, fragte Florence fassungslos.
»Das Schiff stammt von den Taiwanischen Renegaten.« Matthias’ Finger flogen über die Tastatur der Hauptkonsole. »Nichts weiter als Piraten, wenn du mich fragst. Es erreichte uns eine Woche nach der Unabhängigkeitserklärung, unter dem Vorwand, uns gratulieren und helfen zu wollen. In Wirklichkeit versuchen sie, die Stadt zu übernehmen. Das Philanthropische Institut hätte warten sollen, bis wir näher an Südamerika herangekommen sind. Die Autarken Enklaven von Chile und Argentinien haben uns bereits anerkannt und wären sicher bereit gewesen, uns auch militärisch zu helfen; wir hätten ihnen dafür unser Netz-Backbone zur Verfügung stellen können. He!« Matthias deutete auf einen Schirm, der zwanzig oder mehr Gestalten in dunklen Kampfanzügen zeigte, die vor dem größten Turm von Sea City aus einem gepanzerten Transporter kletterten und zum Haupteingang des Gebäudes liefen. »Sie haben es auf uns abgesehen!«
Florence wusste nicht, wer die Taiwanischen Renegaten waren, aber sie erkannte Gewalt und Gefahr. Plötzlich dräng te die Zeit noch mehr.
Sie stand auf. »Matthias …«
»Keine Sorge. Die Eingänge sind schon seit gestern Abend blockiert. Außerdem haben wir die ersten drei Stockwerke verbarrikadiert, die Aufzüge stillgelegt und alle Feuertüren geschlossen. Die Taiwaner müssten sich den Weg nach oben immer wieder freisprengen.« Er zögerte. »Was sie hoffentlich nicht machen. Sie könnten die strukturelle Integrität des Turms gefährden.«
»Matthias, bitte«, sagte Florence. »Ich brauche deine Hilfe. Jetzt sofort.«
»Während wir angegriffen werden?«, erwiderte Matthias ungläubig. »Ich muss mich um die Systeme des Turms kümmern und Lily vor Schaden bewahren. Sie braucht mich.«
» Ich brauche dich, Matthias!«, sagte Florence mit Nachdruck. »Zach braucht dich.«
»Zacharias?« Matthias schüttelte traurig den Kopf.
»Wenn ich dir beweisen kann, dass meine Geschichte stimmt, dass ich recht habe … Bist du dann bereit, mir zu helfen?«
Matthias zögerte. »Wie willst du es beweisen?«
»Was passiert, wenn Traveller und ihre Therapeuten auf die Reise gehen?«
Matthias sah sie an und wartete.
»Ihre Körper bleiben zurück, nicht wahr?«, fuhr Florence fort. »Sie schicken ihre Gedanken auf die Reise, ihr Bewusst sein, mithilfe von Interface-Systemen und Tetranol.«
»Ja?«, fragte Matthias, und Florence glaubte, in seiner Stimme einen Hauch Ungeduld zu hören.
Wieder kam ein Donnern aus der Ferne, aber diesmal blieb eine Vibration aus. Florence beobachtete, wie Matthias’ besorgter Blick zu den Bildschirmen ging.
»Aber ich werde verschwinden!«, sagte sie mit Nachdruck. »Hörst du, Matthias? Wenn du mir hilfst, wieder auf die Reise zu gehen und zu Zacharias zurückzukehren, bleibt mein Körper nicht zurück, weil dies hier gar kein richtiger Körper ist! Wenn ich verschwinde, hast du den Beweis. Dann weißt du, dass ich recht habe.«
Matthias zögerte.
»Bitte«, fügte Florence hinzu. »Ich bitte dich, Matthias. Ohne dich schaffe ich es nicht.«
Er ging zur Tür und öffnete sie. »Komm«, sagte er.
Florence und Matthias hatten das Admin-Büro verlassen, als sich das Bild des Avatars auf dem großen Bildschirm des Hauptterminals veränderte. Aus der Gestalt, die eindeutig weibliche Züge trug, wurde ein kleiner Mann, mit einem Bartschatten auf Kinn und Wangen und einer Narbe neben der Nase, die aus einigem Abstand betrachtet wie ein Strich unter dem Auge wirkte. Die Schultern waren schmal, der Kopf für den dünnen Hals ein wenig zu groß.
»Denk an mich, nenne meinen Namen«, erklang eine leise Stimme, die nicht aus dem Lautsprecher an der Decke kam. »Ich finde dich, ich finde euch alle, und ich bringe euch Freiheit.«
Das Grollen von Geschützen folgte den geflüsterten Worten.
»Was ist mit Zacharias?«, fragte Florence, als sie durch den Flur eilten, der jetzt nicht mehr leer war. Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte und einige Therapeuten waren auf den Beinen, sprachen aufgeregt miteinander oder eilten zu den Büros und Aufenthaltsräumen, die über direkte Kommunikationsverbindungen nach draußen verfügten. Alle
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