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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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jede Bewegung und jeder Atemzug ihrer Umgebung mehr Wirklichkeit verleihen.
    Die aufgeregten Stimmen im Flur wurden lauter, als Matthias die Tür öffnete, und wieder leiser, als er sie hinter sich schloss.
    »Die Soldaten«, sagte er mit seltsam ausdrucksloser Stimme. »Sie haben einen Leiterwagen herangeschafft und klet tern durch die Fenster des vierten Stocks. Unsere Sicherheits kräfte errichten neue Barrieren, im sechsten, achten und zehnten Stock.«
    »Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Soldaten hier sind, nicht wahr?«, fragte Florence leise, als Matthias schwieg. »Hast du Tetranol mitgebracht?«
    Er öffnete die Hand und zeigte zwei Tabletten. »Lily hat nur zwei Sekunden gebraucht, um den Code des Arzneischranks zu knacken. Aber Anderson merkt bestimmt, dass zwei Pillen fehlen. Tetranol ist teuer, und jede verwendete Dosis wird auf einer Liste vermerkt.«
    »Ich glaube, ihr werdet bald andere Sorgen haben«, sagte Florence und streckte die Hand nach den beiden Tabletten aus. Matthias zögerte erneut und gab sie ihr dann.
    Florence schluckte sie beide und spülte mit Wasser nach, das ihr Matthias in einem Glas aus dem kleinen Badezimmer brachte. Dann lehnte sie sich zurück und überprüfte den richtigen Sitz der Sensoren. Eigentlich existieren weder das Tetranol noch die Sensoren, flüsterte ein verräterischer Gedanke in ihr, aber Florence nahm ihn und steckte ihn in eine dunkle Ecke, wo ihn niemand sah und hörte.
    Das mobile Interface war bereits eingeschaltet. Matthias überprüfte es und kontrollierte auch den Datenanschluss. »Du kannst es dir noch anders überlegen«, sagte er. Seine Stimme klang noch immer seltsam monoton, und Florence ahnte den Grund: Er ging auf Distanz zu den Ereignissen, gab sich unbeteiligt bei dem Versuch, die Last der Verantwortung zu verringern. »Ich finde es kaum ratsam, dass du auf die Reise gehst, während Soldaten hierher unterwegs sind.«
    Florence ergriff Zacharias’ kalte Hand. »Es bleibt kein hilfloser Körper zurück – wenn du das meinst.«
    Hatten Zachs Lider gezuckt? Florence sah genau hin, bemerkte aber keine Bewegung. Sie versuchte, die Anspannung aus sich zu vertreiben, lehnte sich zurück und spürte, wie das Tetranol zu wirken begann, wie Ballast von ihrem Bewusstsein wich.
    »Programm starten«, sagte sie.
    Matthias seufzte und betätigte einen Schalter.
    Florence sah noch, wie Matthias’ Mund zu einem großen, staunenden O wurde, als sich ihr Körper auflöste und sie in ein helles, kaltes Gleißen fiel.

Ein Erwachen
    D u arbeitest jetzt seit dreizehn Stunden, Matthias«, erklang Lilys sanfte Stimme aus dem Lautsprecher an der Decke. »Meinst du nicht, dass du eine Pause machen und ein wenig schlafen solltest?«
    Matthias machte sich nicht einmal die Mühe, auf die Uhr zu sehen. Ob es draußen hell war oder dunkel, Tag oder Nacht, das spielte für ihn keine Rolle. Seine Augen brannten, und die Finger zitterten ein wenig, was jedoch nicht an Erschöpfung lag, sondern vor allem an dem starken Kaffee, von dem er in den letzten beiden Stunden mehrere Tassen getrunken hatte. Er starrte abwechselnd auf die beiden Bildschirme, die vor ihm auf dem Hauptterminal standen, unter dem großen Screen, der ihm in einem Fenster Lilys Avatar zeigte, das Gesicht glatt, weder Mann noch Frau. Der linke Monitor zeigte gelb hervorgehoben bestimmte Stellen des Codes, den Thorpe als Teil der neuen Firewall in den Programmbibliotheken der Cray abgelegt hatte. Der rechte präsentierte ihm Verknüpfungen mit einzelnen Programmmodulen und dynamischen Bibliotheksdateien. Daraus ergab sich ein Muster, das weit über das einer gewöhnlichen Firewall hinausging.
    »Inzwischen liegen sechs dringende Anfragen vor«, fuhr Lily fort. »Zwei stammen von den Sysadmins Latoria Malvern und Horazio ›Doc‹ Chernich, die anderen von den hiesigen Niederlassungen der Korporationen MS-Oracle und Google-Meteo. In einer geht es um das Datenvolumen unserer Kommunikationsknoten, und die anderen betreffen die Administration von Sea City und die neuesten Klimamodelle. Google-Meteo beklagt die lange Rechenzeit.« Es folgte eine kurze Pause. »Ich bedauere das sehr, Matthias. Ich rechne mit voller Kapazität, aber die Modelle sind sehr komplex, und ihre Elaboration erfordert Zeit.«
    »Dies gefällt mir nicht«, sagte Matthias langsam.
    »Es tut mir leid, dass dir meine Auskunft nicht gefällt, aber …«
    »Nein, ich meine das hier. Das Programm, das Thorpe installiert hat … Es ist

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