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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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rief erneut etwas, aber diesmal verlor sich ihre Stimme im Gebrüll von zwei Händlern, die versuchten, sich gegenseitig an Lautstärke zu übertreffen. Und einen Moment später hatten die beiden Gestalten, die Florence um mindestens einen halben Meter überragten, sie in eine Gasse gezogen.
    Salomo schien etwas zu ahnen, denn aus dem Augenwinkel sah Zacharias, wie er die Hand nach ihm ausstreckte. Aber er wollte sich nicht zurückhalten lassen, weder von Händen noch von Worten, lief los, hörte hinter sich Kronenberg fluchen und bahnte sich einen Weg durch die dichte Menge. Für einen Moment fühlte er den heißen Atem des schnaubenden Lasttiers über sein Gesicht streichen, dann duckte er sich unter dem Kopf des großen Geschöpfs hinweg, stieß einem dicken Mann, der ihm nicht auswich, den Ellenbogen in die Seite, stolperte fast über einen kläffenden Hund mit Schuppenschwanz … und erreichte den Zugang der Gasse. Hinter ihm wurde aus dem Kläffen lautes Bellen, der Dicke schimpfte wortgewaltig, und es ertönte noch mehr Geschrei, als auch Salomo, Kronenberg und die anderen durch die Menge pflügten.
    Zacharias sah nicht zurück und eilte weiter, vorbei an einer Gruppe von Frauen, die mitten in der Gasse standen und gestenreich miteinander schwatzten. Dahinter war das Gedränge nicht mehr ganz so dicht, und er kam schneller voran, hielt jedoch vergeblich nach den beiden Kapuzenleuten Ausschau, die Florence mit sich gezerrt hatten.
    Nach etwa zehn weiteren Metern mündete die Gasse in einen Platz mit einem Springbrunnen in der Mitte. Auf der anderen Seite erhob sich ein Gebäude, dessen Architektur Zacharias an griechische Tempel erinnerte. Hohe kannelierte Säulen säumten einen breiten Eingang und schienen aus Rosenquarz zu bestehen.
    Die beiden in Kapuzen gehüllten Gestalten und Florence verschwanden gerade im dunklen Innern des tempelartigen Gebäudes.
    Zacharias sprintete über den Platz, vorbei am plätschernden Springbrunnen. Als er die Treppe vor den Säulen erreichte, hörte er hinter sich Salomos Stimme. »Bleib stehen, Zach, bleib stehen!«
    Nenn mich nicht Zach, verdammt, dachte er, stürmte die Stufen hoch und in rosarote Düsternis. Ein großer Saal empfing ihn, und nach einigen Schritten verharrte er, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich an das Halbdunkel zu gewöhnen.
    »Florence?«
    Seine Stimme klang seltsam hohl und warf kein Echo; die Quarzwände, glatt wie Glas, schienen das Wort zu schlucken. Von den beiden Kapuzenleuten und Florence war weit und breit nichts zu sehen.
    Er schritt über einen Mosaikboden, der aus Tausenden von kleinen, rautenförmigen Elementen bestand: auf der einen Seite die Sonne, auf der anderen der Mond, dazwischen verschiedene, von Fabelwesen bevölkerte Landschaften, in der Mitte runde schwarze Leere, wie ein riesiges, starrendes Auge. »Florence?«, rief er erneut und wusste, dass ihm nur noch wenige Sekunden blieben, bis Salomo und die anderen eintrafen.
    Was er eben noch für eine runde schwarze Fläche in der Mitte des Saals und des Mosaiks gehalten hatte, erwies sich als ein Öffnung, als ein Loch im Boden, unergründlich tief und gesäumt von einer schmalen Treppe, die in einer langen, endlosen Spirale nach unten führte. Zacharias blieb am Rand der Öffnung stehen, fühlte einen kühlen Luftzug aus der Finsternis und sah tief unten, viel tiefer, als es in der kurzen Zeit eigentlich möglich sein sollte, drei Gestalten, eine von ihnen ein ganzes Stück kleiner als die beiden anderen.
    »Florence!«
    Schritte näherten sich. Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter.
    »Du kannst sie nicht erreichen, Zacharias«, sagte Salomo. »Nicht dort unten.«
    Er starrte noch immer in die Tiefe und beobachtete, wie die drei Gestalten in der Dunkelheit verschwanden. Über die Treppe zu laufen, würde viel zu lange dauern, dachte er. Ich könnte springen.
    »Du könntest springen«, sagte Salomo, als hätte er Zacharias’ Gedanken erraten. »Aber ich bezweifle, dass dort unten der Verrückte wartet, um dich vor einem tödlichen Aufprall zu bewahren. Und dass du hier nicht in der Lage bist, dir einfach Flügel wachsen zu lassen, solltest du im Fahrstuhlschacht gelernt haben.«
    Zacharias spähte in die Dunkelheit, aber von Florence war nichts mehr zu sehen.
    »Er hat dieser Welt eine Person hinzugefügt, obwohl sie stabil und gesperrt ist«, sagte Kronenberg.
    »Ich weiß«, erwiderte Salomo nachdenklich. »Er könnte ein guter Weltenbauer werden, vielleicht der

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